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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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geantwortet hat, als er sie fragte, warum sie heute so kühl und unpersönlich sei.
    »Es geht so nicht weiter. Erinnere dich, was ich dir vor Santa Margherita sagte. Wir haben Verantwortung, beide. Wir können nicht ein zweites Leben führen neben deiner Familie. Ich kann es nicht! Und ich werde die Konsequenzen ziehen. Es ist mein Ernst.«
    Was mochte das bedeuten, daß dieser Traum ihn verfolgte? Er hätte den Doktor aufsuchen müssen, unbedingt. Statt dessen sitzt er allein im Haus. Morgen kommt seine Frau. Immerhin gab es heute zu essen, aber dann ist das Mädchen gegangen. Stephanie und Golo hat er überhaupt noch nicht zu Gesicht bekommen. Nicht einmal beim Frühstück. Hier wird er nicht mehr gebraucht, niemand kümmert sich um ihn. Was hätte ihm der Doktor gesagt? Was sagen Sie}, hätte er gefragt und ironisch hinzugefügt, er gebe nur Informationen. Der Doktor im Traum war ein Doktor in ihm selbst, eine Instanz für psychologische und moralische Fragen, eine Art Gewissen. Er überlegt weiter. Der Schwimmlehrer war damals die entscheidende Macht, die bestimmte, wer oben blieb und wer unterging. Im Traum wäre er gewissermaßen das Schicksal. Mit dem Kopf des Doktors also: Schicksal und Gewissen. Ihm ist, als begreife er etwas, das ihm lange unzugänglich war: der Traum gibt ihm verschlüsselt einen Wink: handelt er gegen sein Gewissen, geht er unter.
    Daß der Doktor seine Deutung möglicherweise angezweifelt hätte, kommt ihm nicht in den Sinn. Wenn es darum geht, sich durchzumogeln, ist das Bewußtsein mitunter von kabarettistischer Spitzfindigkeit.
    Morgen kehrt seine Frau zurück; er läßt sie grüßen und die Kinder. Mußte dringend weg.
    In jeder Hand einen Koffer, das sperrige Necessaire unterm Arm, steigt er die Treppe zu Hildes Puppenheim hinauf. Eine landende Düsenmaschine pfeift übers Dach, die Treppenhausbeleuchtung schaltet sich aus. Da öffnet sie die Wohnungstür, sieht, wie schwer er trägt an seinem Entschluß. In seinem Nacken schließen sich ihre Hände, ziehen ihn wortlos über die Schwelle. Auch er kann nicht sprechen, verharrt. Was sich in einem halben Leben gestaut hat an Liebe, unverbrauchter Bereitschaft, fließt ihm jetzt entgegen. Die beiden Koffer fallen ihm ein und das Necessaire, die er noch immer festhält. Er setzt sie ab, legt, ohne Hildes Liebkosung zu unterbrechen, das sperrige Etui aus der Hand, hört es herunterfallen, fühlt, wie kräftig sie ihn hält, wie sie zittert und weint, geht unter mit ihr im Lärm der nächsten landenden Maschine — offenbar eine Caravelle —, wird sich bewußt des Glücks, das sich mit Konsequenz bereiten läßt, und denkt zum erstenmal an diesem langen Tag an sich.
    Ach ja — von hier werd ich jetzt morgens ins Werk fahren — hierher abends zurück — wenn die Familie mich nicht braucht — bitte — meine Seife hab ich vergessen — dieses dumme Necessaire
    Seine Hände bewegen sich auf Hildes Rücken. Er merkt, daß er noch Handschuhe anhat, streift sie ab, steckt sie ein, tätschelt rauf und runter, spürt die schief sitzende Schließe ihres Büstenhalters — jetzt das gemütliche Tuckern einer Propellermaschine, Charterflug vermutlich —, läßt die Arme sinken und holt Luft.
    »Mach mir bitte was zu essen. Ich hab einen Bärenhunger. Und Durst!«
    Hilde legt den Finger an den Mund. Monika schläft. An Monika hat er noch gar nicht gedacht. Hilde kocht, werkelt, packt aus, räumt ein, schenkt nach, zieht ihm die Schuhe aus, die Krawatte und redet. Der Wein schmeckt wie nach langer Wanderung. Hilde redet. Er entschuldigt sich für seine Einsilbigkeit, ist müde, kein Wunder, es muß wieder Föhn sein.
    Hilde versteht ihn. Er ist da. Und nimmt wahr: Teakholz, das ihm bisher nicht aufgefallen ist, viel Teakholz, eine Hundert-Bände-Bibliothek auf drei Brettern an Drahthängern. Kräftig glänzt die Musik- und Fernsehtruhe. Das Zimmer kommt ihm heute blauer vor: die säurebeständige Tischplatte, Teppich, Vorhänge, Sesselbezug, eine der drei schwenkbaren Tüten der Stehlampe.
    Kein Heim für Abende — ich werde das ändern — nur heute nichts mehr denken müssen
    Er nimmt das Glas mit ins ahornhelle Schlafzimmer, weiß nicht wohin mit den Kleidern, mit den Dingen aus den Taschen, holt einen Aschenbecher für das Kleingeld. — »Erinnere mich, daß ich morgen Hosenspanner kaufe!« — entdeckt den Van-Gogh-Druck überm Bett: Fischerboote auf dem Strand.
    In seinem Arm schläft sie ein. Riecht nach Lavendel. Sein Arm schläft ein.

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