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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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über schlaflose Nächte, ganz allgemein, schlägt der Besucher vor und findet den Doktor sofort bereit. Es daure nur wesentlich länger. Vom konkreten Beispiel habe er mehr. Aber wie gesagt, es gehe auch anders.
    »Bleiben wir bei Ihrer Methode, Doktor. Was kann schon herauskommen? Ein paar Sorgen, wie sie jeder kennt, der wachliegt. Fangen wir an.«
    Er legt sich zurück auf das Tuch mit der grünen Klammer und taucht, während Herkules die Augen schließt, unbekümmert ins Unbewußte. Langsam mit tiefer Stimme erzählt er von seinen Beschwerden: Herzklopfen, Ohrensausen, Würgen im Hals, Beklemmungen auf der Brust. Sein Bericht wird weitschweifiger, die Wortwahl genauer, die Stimme höher, je absurder die Bilder. Gestenreich beschreibt er die Ängste der Nacht, erwähnt auch die Harpyien, Lemuren, Kobolde und Echsen aus dem Hieronymus-Bosch-Band in der Bibliothek seines Vaters. Sein Atem stockt, er würgt, rudert hilfesuchend mit den Armen, als habe er sie beschworen, schweißnasse Stirn, Muskeln zucken, unzusammenhängend kommen Worte, Laute, Geröchel, Husten, er keucht, ringt nach Luft, faßt sich an die Kehle, schreit, Herkules bellt, springt mit ihm auf, knurrt den Doktor an, während Herrchen nach einem Stuhl greift, die Lehnen umklammert, ihn hochreißt, sich im Kreis dreht, als gelte es einen unsichtbaren Feind abzuwehren. »Weg! Fort! Nein!« Bei überschnappender Stimme stößt er mit den Stuhlbeinen ins Leere, flieht im Kreis, Herkules bellt, springt an ihm hoch, schnappt nach seiner Hose, schnappt zu eifrig, erwischt das Bein. Herrchen kommt wieder zu sich, läßt den Stuhl sinken, sackt darauf zusammen, den Kopf in die Hände gestützt, Herkules springt auf seinen Schoß, leckt ihm die Backe und rollt sich, als sein Atem ruhiger wird, zusammen: die Hunde weit ist wieder im Lot.
    Mit verschränkten Armen, gleichsam Loge sitzend, hat der Doktor den Ausbruch verfolgt. Hier war nur Suggestion im Spiel, nicht Chemie. Psychopharmaka gefährden mitunter die Lebensdauer von Einrichtungsgegenständen.
    »Mein Gott, Doktor! Was war das? Während ich Ihnen die Wesen beschreibe, sind die auf einmal im Zimmer, obwohl ich die Augen offen hatte, stürmen auf mich ein, haben Totenköpfe. Diese Couch! Ich dachte, ich liege schon im Sarg.« Herkules sucht sich einen anderen Platz. Herrchens Zwerchfell ist ihm zu unruhig.
    »Die Couch kann gar nichts dafür«, antwortet der Doktor. »Am besten, Sie legen sich gleich wieder hin.«
    »Nein! Nie und nimmer! Sie ahnen ja nicht, wie das war!« Ohne es zu wollen, steht er auf, geht zur Couch, sieht den Doktor an, der ihm zunickt, legt sich, schließt die Augen und schläft sofort ein. Herkules schaut auf, setzt schon an zum Sprung auf Herrchens Schoß. Der Doktor fängt ihn ab, kniet am Boden und beruhigt auch die vierbeinige Kreatur. Erst beim Klingeln des nächsten Patienten erwacht der Besucher.
    »Entschuldigen Sie. Ich war sehr unbeherrscht, ich weiß. Es ist mir mehr als peinlich. Ein erwachsener Mann gebärdet sich da wie eine hysterische...«
    Der Doktor könnte auf ihn eingehen, könnte ihm sagen, daß sein Auftritt vergleichsweise harmlos war, könnte ihn trösten mit Schlimmerem, aus der Praxis plaudern, was er nicht darf: Daß es zum Beispiel Patienten gibt, die sich als fortgeschrittene Yogajünger vorstellen, gleich in der ersten Stunde unaufgefordert ihre Schuhe abstreifen, Asanas zum besten geben, dabei von gefundener Mitte und sonstigen Wonnen der Selbstversenkung schwärmen, um schließlich, auf dem Kopf stehend, besorgniserregende Neurosen zu enthüllen. Es wäre zwecklos. Patienten sind wie Veteranen. Nur was sie selbst getan haben, zählt, ist etwas Besonderes. Um so einmaliger, je unwahrscheinlicher und abwegiger es ihnen vorkommt.
    »Sie weichen mir aus, Doktor. War es so schlimm?«
    Er habe, erklärt ihm der Doktor, nur eine Kostprobe seines Unterbewußtseins bekommen, habe sich seinen Ängsten gestellt, indem er sie beschrieb. Das sei alles.
    Herkules bellt und strebt zur Tür hinaus.
    »Jedenfalls war es beängstigend informativ. Die Psychologie ist doch heimtückischer als ich dachte.«
    Ein Lächeln des Doktors begleitet ihn.
    »Achten Sie einmal auf Ihre Träume.«

    Hilde hatte mitunter Mühe, aus seinen Diktaten brauchbare Geschäftsbriefe zu destillieren.
    »Vom Chef kommt im Augenblick nur heiße Luft! Wahrscheinlich Ärger zu Hause!« hieß es im Werk. Hilde begegnete dem Gerede mit der Feststellung:
    »Der Chef hat eine schmerzhafte

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