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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Nervenentzündung durch Zugluft.«
    Die Zwillinge führten einen in der Familie nicht mehr neuen Dialog. Sagte Stephanie:
    »Dieses Werk! Papi ist wieder mal sanatoriumsreif!«
    Sagte Golo:
    »Rausgeworfenes Geld! Männliches Klimakterium. Weiter nichts.«
    Die Ehepartner führten ihren Dialog im Bett. Jeder in seinem. In Gedanken.
    Wenn ich ihm nur helfen könnte!
    Nervöse Herzangst, kreislaufbedingt, weiter nichts.
    Behandle ich ihn falsch?
    Ob’s doch an der Ehe liegt?
    Er ist mir so fremd geworden.
    Die Verantwortung. Es ist einfach zu viel!
    Das Schlimmste ist, wenn man nicht miteinander redet. Vielleicht sollte man ein Hobby haben?
    Er hat auch gar nichts, was ihn interessiert, außer dem Werk. Man hat zu wenig Zeit für sich.
    Ich muß Geduld haben!
    Man muß abwarten.

    »Herkules hab ich diesmal zu Hause gelassen. Der kleine Kerl hat mir die ganze Hose zerbissen.«
    Unaufgefordert zieht der Besucher, der um keinen Preis Patient sein will, Jacke und Schuhe aus. Wortlos hantiert der Doktor, breitet das weiße Frotteetuch mit der grünen Klammer über die Patientencouch. Der Besucher streckt sich aus, ohne Zögern, ohne Angst.
    »Ja, also: Ich habe gut geschlafen nach meinem merkwürdigen Auftritt das letztemal. Ist mir heute noch unverständlich, wie das passieren konnte, ich bin im allgemeinen sehr beherrscht. Ja, gut geschlafen, sehr gut sogar, kein Hieronymus Bosch im Zimmer. Die letzten Nächte waren wieder weniger erfreulich. Scheint sich doch um eine echte nervöse Erschöpfung zu handeln. Wäre auch kein Wunder. Aber, mit Träumen, da muß ich Sie leider enttäuschen. Um ganz ehrlich zu sein: Irgendwie widerstrebt es mir. Träume sind doch zu abstrakt, unzuverlässig, ein Wiederkäuen von Tageseindrücken mit vagen Erinnerungen vermischt. Man hört eigentlich nie, daß jemand wirklich daran glaubt. Oder was meinen Sie?«
    Der Doktor meint gar nichts. Abwehr des scheinbar Irrationalen ist die normalste Reaktion. Es kann Dutzende von Stunden dauern, bis ein Patient seine Klimmzüge nach der Ratio aufgibt. Dieser Besucher rechnet mit festen Größen, kalkuliert nach Zeitplänen und Fließbandtempi, will Erfolge sehen. Daß er seine Hilfesuche >Information< nennt, fällt gleichermaßen unter normale Reaktionen. Bei skeptischen Gemütern ist die Psyche, wenn es darum geht, etwas zu vertuschen, mitunter von kabarettistischer Spitzfindigkeit. Obwohl er sieht, wie sehr er gebraucht wird, muß sich der Doktor an die Abmachung halten: Information durch Beispiele.
    »Sie können auch einen Traum erfinden. Oder ein vages Traumbild weiter ausphantasieren.«
    Blick über den Bücherstapel, ironisch-wohlwollendes Lächeln.
    »Noch einmal gehe ich Ihnen nicht auf den Leim, Doktor!« Ohne Antwort gelassen, sinkt der Besucher zurück und fährt fort: »Ach was. Fangen wir an! Spaßeshalber. Mit allen Vorbehalten! Also: Wenn ich mich recht erinnere — es ist schon länger her —, hatte ich einen sehr unerfreulichen Traum. Unerfreuliches ist Ihnen doch am liebsten? Nein, im Ernst: Es war Nacht, ja, eine besonders stürmische Nacht. Ich saß in einem großen Haus, ich glaube ich war allein, der Wind rüttelte an den Fensterläden, ein Hund heulte oder bellte, genau weiß ich das nicht mehr. Nur, daß es unheimlich war. Dann fing es an zu regnen, es goß, wurde immer schlimmer, Äste, ganze Bäume stürzten vom Sturm geknickt oder entwurzelt zu Boden, einer traf das Dach, Ziegel splitterten, der Sturm fing sich in dem Loch, riß das ganze Dach weg, Wasser stürzte herein, Balken krachten, ich hör’s noch, als wär’s heute, ich versuche mich unter dem Sims des offenen Kamins — ich glaube er war aus Marmor — in Sicherheit zu bringen, ganze Sturzbäche und Mauerstücke regnen auf mich herunter, wieder heult oder bellt der Hund, ja, ich hatte ihn schon gesehen, zu Anfang, als er ums Haus schlich — ein widerliches Tier. Nun, ich harrte aus, wurde wieder übergossen, von herabstürzenden Balken oder Mauerstücken getroffen, im Genick, vor allem im Genick, aber ich blieb, halb ohnmächtig schon, hielt mich fest. Da werde ich auf einmal gepackt, spüre einen heißen Atem: Der widerliche Hund, nein, es ist ein Wolf, ein Wolf, hat mich geschnappt, schleift mich durch Trümmer und Wasser hinaus, die Vortreppe hinunter, Blitze zucken, und in ihrem Schein seh’ ich, wie das Haus hinter uns zusammenstürzt.«
    Er setzt sich auf, wischt mit dem Taschentuch über die Stirn. »Ja, so war’s. Zur Erläuterung möchte ich noch

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