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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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hinzufügen, daß ich am Abend sehr spät und sehr schwer gegessen hatte: Gänseleber, Aal, Käse paniert — eben die richtige Grundlage für Alpträume. Ich habe schon öfter festgestellt, daß mir schweres Essen nicht mehr bekommt.«
    In einem Punkt sind Therapeuten von praktischen Ärzten nicht zu unterscheiden: im Überhören von hilfreich gemeinten Anmerkungen ihrer Patienten. Was ihm zu diesem Traum einfalle? lautet die Frage.
    Anfangs ratlos, wird der Besucher bald ungeduldig.
    »Ich dachte Sie analysieren! Was soll ich Ihnen antworten? Ein Sturm ist ein Sturm, ein Haus ein Haus, ein Hund ein Hund...«
    Mit einem Scherz beschwichtigt ihn der Doktor.
    »So würde Gertrude Stein das formuliert haben.«
    Während der Besucher sich durch Lachen als belesen ausweist, fragt der Doktor weiter und erhält bereitwillig Antwort.
    »Nun, das Haus, vielleicht war es das Haus, in das ich gehöre, mein eigenes, nein — der Marmorkamin! — mein Elternhaus.«
    Auf die Frage, wie er zu seinen Eltern stand, wird der Besucher weitschweifig. Hohes Lob für die Mutter; der Vater, preußischer Staatssekretär, 1933 aus dem Amt gejagt, sei streng gewesen, von großer Ausstrahlung — ein Vater wie aus dem Bilderbuch. Einmal im Erzählen, macht es ihm Freude, sich zu erinnern.
    »Solange ich klein war, hatten wir einen Hund. Aber der sah anders aus, richtiger deutscher Schäferhund. Dabei fällt mir ein: Der hat mich einmal gerettet, beim Schwimmen, das heißt beim Planschen in einem Bach. Ich konnte noch gar nicht schwimmen. Ich muß ausgerutscht und unter Wasser gekommen sein. Da hat Harro mich rausgezogen. Eigentlich eine merkwürdige Parallele.«
    Unbeeindruckt von der wundersamen Rettung stellt der Doktor Fragen, die an Naturkundeunterricht in der Volksschule erinnern.
    »Der Hund«, kommt die Antwort, »ist das Haustier schlechthin: Treu, zuverlässig, fabelhafte Witterung, wachsam, gelehrig. Ganz anders als Katzen. Die sind ja völlig unpersönlich...«
    »Wer sagt das?« unterbricht der Doktor pedantisch.
    »Jeder. Alle Katzen sind falsch. Das ist doch klar. Ein Hund dagegen... Schopenhauer z. B. hatte einen Pudel, Goethe soviel ich weiß auch. Friedrich der Große hatte sogar zwei Hunde. Ob das allerdings noch mit Tierliebe zusammenhing? Man spricht da von abartigen Neigungen. Er soll ja auch geschlechtskrank gewesen sein. Das ist es, was mich beim Hund stört: Seine ungenierte Triebhaftigkeit. So etwas sehen schließlich auch Kinder. In diesem Punkt sind mir Katzen lieber, die das im Dunkeln erledigen und sich putzen, während der Hund manchmal recht dreckig ist, Schmutz ins Haus schleppt, überall seine Notdurft verrichtet, wenn man nicht aufpaßt. Ansonsten aber geht nichts über einen Hund. Wir hatten nach Harro keinen mehr, wenn ich mich recht erinnere. Daher ist wohl auch meine Ehe sozusagen hundelos geblieben.«
    »Und Herkules?«
    »Weiß der Teufel, wie ich auf den kam.«
    Hinter dem Bücherstapel hat sich der Doktor eine Notiz gemacht: Weiß der Teufel — steht auf dem Papier. Der Besucher fährt fort:
    »Ich sagte mir, du bist überlastet, hast zu wenig Bewegung, kaum Kontakt mit der Natur. Da ist ein Tier ein guter Ausgleich. Es will Zärtlichkeit, das lenkt ab, man hat seine Freude an der Ergebenheit, und muß abends mit ihm um den Block. Wenn Sie so wollen: ein konditionsförderlicher Selbstbetrug mittels der Kreatur.«
    »Und wann haben Sie Herkules angeschafft?«
    »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Doktor! Lassen Sie mich überlegen. Es muß ein paar Tage nach dem Traum gewesen sein. Sollte da tatsächlich ein Zusammenhang bestehen? Ich glaube nicht daran. Wäre zu einfach.«
    Wie ein Steuerprüfer geht der Doktor weiter vor, Punkt für Punkt, immer wieder zurückspringend, bis sein Besucher ungeduldig die Methode übernimmt, um im Alleingang rascher zum Ende zu kommen.
    »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen! Dann wäre das einstürzende Haus, mein Elternhaus, mein Lebensgebäude also, mein Leben, meine Vergangenheit. Alles, was für mich Wert hatte, wäre...«
    Der Doktor nickt.
    »Eingestürzt. Sie sitzen auf der Straße. Aber Sie sind gesund. Der Hund hat Sie gerettet, der Hund aus Ihrem Elternhaus. Können Sie ihn noch genauer beschreiben? Wie sah er aus?«
    Hier stockt der Besucher, weiß nicht, wie er sich ausdrücken soll. Überraschend reicht ihm der Doktor Zeichenblock und Farbstifte. Jetzt löst sich die Verlegenheit in Lachen. Nein, zeichnen könne er überhaupt nicht! Weder in Sonntagsmaler-

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