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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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noch in Kindermanier. Versuchen könne er’s ja. Zum Spaß. Es sei aber durchaus möglich, daß eine Kuh dabei herauskomme oder ein Hase. Hastig führt die Hand den Rotstift, reicht den Block über den Schreibtisch zurück.
    »Es ist mehr ein Wolf geworden. Ich hab’s Ihnen ja gesagt! Um Gottes willen ja: Es war ein Wolf, mit langen Eckzähnen, die Augen waren wie glühende Kohlen, ich kann das nicht so darstellen, aber es war ein Wolf oder ein riesiger Hund, ein Höllenhund, ein Teufel mit vier Beinen...« Wieder simple Fragen, Punkt für Punkt: Was der Teufel sei? Was er für ihn bedeute? Welche Funktion er habe? So, die Inkarnation des Bösen? Nur des Bösen? Ausschließlich? Immerhin habe ihn diese Inkarnation gerettet.
    »Ja doch, Doktor, ja doch! Bei allem Verständnis für Symbole — aber da sträubt sich mir das Fell. Schließlich gibt es noch einen Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit. Ich bin doch kein Kind mehr. Fragen Sie jetzt bitte nicht: Was ist ein Kind?«
    »Was ist ein Kind?«
    »Also schön. Ein Kind ist ein Lebewesen, das Traum und Wirklichkeit noch nicht trennen kann. Aber sagen Sie im Ernst: Müssen Sie sich bei Ihren Patienten mit solchen Schülerfragen herumschlagen? Ist das nicht sehr langweilig? Oder amüsiert es Sie?«
    Unerwartet findet er Zustimmung. Es sei mitunter sehr amüsant.
    »Dann lachen Sie auch über mich? Angenommen, wir hätten diesen Dialog nicht nur als Modell geführt. Was hätte Sie daran amüsiert?«
    »Ihre Logik.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Daß Sie von einem Höllenhund träumen, der Sie gerettet hat, mit ihm nichts zu tun haben wollen, aus Vorsicht aber, weil das Böse, das er verkörpert, doch zu unberechenbar ist, um sich’s damit nicht ganz zu verderben, ein kleines, harmloses Exemplar der gefürchteten Gattung anschaffen, es auf den Berserkernamen Herkules taufen und dann behaupten, Traum und Wirklichkeit zu trennen, weil Sie kein Kind mehr sind!«

    In einer Illustrierten mit hoher Auflage war ein Bericht über den »Wandel des weiblichen Schönheitsideals im Laufe der Zeiten« erschienen. Ein sehr bilderreicher Bericht. Er enthielt neben kulturhistorischem Material, das die Seriosität des Unterfangens dokumentieren sollte, neben bauchbetonten Dürer-Stichen, der Weibespracht Rubensscher Dimensionen und knabenhüftigen Domergue-Gespielinnen, auch ein Jugendbild seiner Frau.
    Dieses Bild, das er nicht kannte, mußte jeden Leser fesseln. Nicht nur wegen der beträchtlichen Anmut des hochgewachsenen, blonden Mädchens, oder der nicht unbedingt schmeichelhaften BDM-Uniform, die es trug, als vielmehr durch eine ungemein freundlich lächelnde Nebenperson. Zeigte es doch die spätere Industriellengattin just in dem Augenblick, da sie dem Führer Adolf Hitler strahlend einen Blumenstrauß überreichte. Der Begleittext, in dem sie als meistfotografiertes deutsches Mädel des Tausendjährigen Reiches bezeichnet wurde, als Urtyp der nordischen Jungfrau, Garantin der Herrenrasse, die dem Führer zahlreichen, erbgesunden Nachwuchs zu schenken verspricht, vergaß nicht, neben dem Mädchennamen auch ihren jetzigen sowie Wohnort und Beruf des Gatten anzuführen.
    Vor dem Essen gab sie ihm die Illustrierte.
    »Wie findest du das?«
    »Daß du ein sehr hübsches Mädchen warst, Liebes.« Nachteilige Folgen fürchtete er nicht. Im Gegenteil. Eine schöne Frau gereicht ihrem Manne in jedem Fall zu Ansehen, ganz gleich, ob sie Hitler oder Papst Pius Blumen in die Hand gedrückt hat.
    Stephanie und Golo, sonst redselig bis zur Ungemütlichkeit, gaben sich heute demonstrativ wortkarg.
    »Was ist eigentlich los? Ihr sitzt da wie ein Block der Verneinung.«
    Als sie nicht antworteten, wurde der Vater exemplarisch. »Das ist kein Benehmen! Entweder ihr sprecht mit uns, oder ihr geht aus dem Zimmer.«
    Stephanie war sofort bereit. Golo unterlag seinem Appetit. Jetzt bestand die Mutter, sonst immer um Ausgleich bemüht, auf einer Erklärung. Dabei stellte sich heraus, daß ihr Bild in der Illustrierten bei den Freunden der Zwillinge eine andere Wirkung hervorgerufen hatte als beim Vater.
    »Glaubt ihr vielleicht, das ist angenehm?« fragte Golo. »Da bemüht man sich um ein klares Bild der Vergangenheit — wir diskutieren nämlich sehr viel darüber, obwohl es immer heißt, die heutige Jugend hätte dazu überhaupt keine Beziehung —, und dann entpuppt sich die eigene Mutter auf einmal als Nazischönheit. Warum wird einem das nicht vorher gesagt?«
    »Es ist für uns

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