Ich liebe mich
einfach peinlich«, sagte Stephanie. »Vor allem vor unseren ausländischen Freunden.«
Vater und Tochter sahen einander an. Sie dachten an den zärtlichen Kommilitonen. Dann sprach er ein Machtwort. »Wir haben uns nichts vorzuwerfen! Euer Großvater hat 1933 seinen Posten verloren, ich war nicht in der Partei, habe 1940 meinen Wehrdienst angetreten, wie jeder andere auch — immerhin ging es gegen den Kommunismus — nach dem 20. Juli 1944 wurde ich als wehrunwürdig aus der Wehrmacht ausgestoßen — das ist eine Visitenkarte, die man vorzeigen kann!«
»Entschuldige Paps, von dir ist hier überhaupt nicht die Rede«, sagte Golo.
»Ihr habt also an mir auszusetzen«, sagte die Mutter ruhig. »Ihr macht es euch sehr leicht. Ja, ich war beim BDM, wie alle damals. Wir wurden gar nicht lange gefragt, eines Tages hatte ich meinen Ausweis. Aber das ist doch um Gottes willen kein Politikum. Ich war viel jünger als ihr heute und verstand nicht, um was es ging.«
Ihr milder Ton, die Unbefangenheit, mit der sie sprach, beeindruckten die Zwillinge. Betont höflich setzten sie sich mit ihr auseinander. Die Argumente aber überzeugten sie nicht. Herkules bellte, als gelte es, die Stimmung des Vaters kundzutun.
»Ja zum Donnerwetter! Seit jeher ist es Brauch, daß Staatsoberhäupter bei Reisen durch das Land von hübschen Mädchen mit Blumen begrüßt werden. Nicht nur in autoritären Staaten! Ihr seht das doch im Fernsehen. Wie leicht hätte es sein können, daß Stephanie einmal ausgesucht worden wäre, den Bundespräsidenten bei einem Besuch in München mit Blumen zu empfangen, zum Beispiel!«
»Entschuldige Papi, das ist nicht logisch. Ich würde den Bundespräsidenten jederzeit begrüßen, wenn’s unbedingt sein müßte. Aber nicht in einer politischen Uniform.«
»Du kannst doch unseren Bundespräsidenten nicht mit Hitler vergleichen!« rügte Golo.
Weil sie recht hatten, wurde der Vater wütend. Sie sollten gefälligst nicht über Dinge reden, die sie sich, mangels Vergleichsmöglichkeiten, nicht vorstellen könnten. Damals sei eine andere Zeit gewesen, mit anderen Bedingungen. Basta!
»Du gibst also zu, daß es anders war? Genau das wollten wir hören. Bis jetzt hast du nämlich versucht, uns das Gegenteil zu beweisen.«
Golo hatte Mühe, nicht laut zu werden.
»Ihr haltet uns anscheinend für kriminell, weil wir überlebt haben«, fuhr die Mutter fort, ohne noch recht zu wissen, wie sie sich erklären sollte. »Bei der Freiheit, in der ihr lebt, bei euren Ansprüchen könnt ihr euch überhaupt nicht vorstellen, was Zwang bedeutet. Wir kannten nur das Muß!In der Schule wie zu Hause! Wir waren kein psychologisches Problem, wir hatten zu parieren. Diskussionen gab es nicht. Wenn wir nicht gefragt wurden, hatten wir den Mund zu halten. Diese laxe Arroganz, wie sie eurem Jahrgang eigen ist, hätte man uns mit dem Rohrstock ausgetrieben. Wir saßen im Unterricht, da hieß es plötzlich: der Führer kommt! Wir wurden nach Hause geschickt, um uns umzuziehen, dann mußten wir antreten, der Schuldirektor hat uns persönlich aufgestellt, die Blonden nach vorn, die Dunklen nach hinten, ich war die Größte und bekam den Blumenstrauß für die Begrüßung. Und dann kam er. Nicht ein böser Aufwiegler mit stechendem Blick, nein, sympathisch war er, alles jubelte ihm zu. 1936 bei der Olympiade ist die ganze Welt darauf hereingefallen. Seine andere Seite wurde erst später bekannt. Stellt euch vor, ihr überreicht dem Bundespräsidenten Blumen, und ein paar Jahre danach erfahrt ihr, daß er seit seinem Amtsantritt heimlich Waisenkinder frißt! Das ist natürlich ein sehr dummes Beispiel, aber mir fällt im Moment kein anderes ein.«
Die Zwillinge mußten lachen.
Der Vater sah sie an. So leicht konnte man ein Problem lösen, wenn man den richtigen Ton fand. Er bewunderte seine Frau.
Heute hätte er zur Starkbierpremiere auf den Nockherberg fahren sollen. Mit dem Anstich des hochprozentigen, süßlichen Gebräus endete in Bayern die Fastenzeit.
Wie immer ging dem offiziellen Anzapfen eine noch offiziellere Probe voraus. Honoratioren und Lokalprominenz fanden sich an einem Vormittag auf dem Nockherberg zusammen, um bei Musik, humoristischen Darbietungen und Weißwurstverzehr gemeinsam zu prüfen, wie die süffige Medizin für die »Bayerische Frühjahrskur« geraten und ob dieselbe dem Volke auch bekömmlich sei.
Obwohl jedes Jahr eingeladen, war er noch nie dabeigewesen.
»Ach Doktor, wenn nur die Nächte nicht
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