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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Kleid.
    »Pan!«
    »Elvira!«
    Programmänderung. Sie zogen ihre festen Schuhe wieder aus. Das Wiedersehen wandernd zu feiern, erschien ihnen als zu große Ablenkung voneinander. In Decken gewickelt lagen sie bandscheibengerecht aufgebahrt in der Sonne.
    »Ach Pan! Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich noch so nenne?«
    Verneinend bewegte er, was die Schwester von ihm freigelassen hatte. Elvira strahlte im Cremeglanz.
    »Du hattest ein so kühnes Profil. Wie lange ist das jetzt her? Machst du eigentlich nur Kur, oder fehlt dir was?«
    »Soso«, antwortete er. »Du lebst auch in München. Warum hast du mich nie angerufen?«
    »Ach Pan... Ich weiß auch nicht. Außerdem stehst du gar nicht im Telefonbuch.«
    Sie tauchten in die Erinnerung. Er hatte gerade geheiratet, damals, sie stand vor der Scheidung — ausreichende Gründe, um einander nicht mehr zu vergessen. Weil die Vernunft siegreich geblieben war. Sie hatte keine Kinder aus ihrer kurzen Ehe und auch nicht mehr geheiratet, war viel herumgekommen, hatte ihre Zeit gut angelegt. In Kunst kannte sie sich erstaunlich aus. Jetzt lebe sie von einer Rente, die sie — indirekt — als Verfolgte des ehemaligen Regimes beziehe, wie er ja wisse.
    Er wußte es nicht, nickte, ohne Überraschung, schon weil sie gar keine Antwort aufkommen ließ, längst von ihrer Wohnung sprach, vom Blick über die Dächer von Schwabing.
    Fast ein bißchen Paris!
    Sie habe einen netten Kreis, München sei ja eine so musische Stadt, erotisch im geistigen Sinne, wenn man wisse, wo. Leider mache sich jetzt das Alter bemerkbar.
    Er widersprach, einfallsreich, indem er Komplimente, die ihm auf ähnliche Bemerkungen in jüngster Zeit gemacht worden waren, blindlings miteinander verband. Sie fand ihn einfühlsam, charmant, unverändert. Er sie auch. Dem widersprach sie.
    »Du hättest mich vor vierzehn Tagen sehen sollen! Jetzt habe ich schon ein Tanagrafigürchen. Mein erster Urlaub seit Jahren! Ich genieße es! Obwohl ich’s mir eigentlich nicht leisten kann. Aber wo sonst soll man über seine Verhältnisse leben, wenn nicht im Sanatorium?«
    Dann berichtete er. Von kleinen Freuden, von Sorge und Verantwortung, Alter und Kreislauf.
    Ihr Trost war Vollkost, Kraftfutter für seine Psyche.
    Die Kur schlug an. Er nahm sogar zu, was im Hause mißbilligend vermerkt wurde. Die Masseuse, als einzige auch bei größtem Wohlwollen nicht hübsch zu nennen, ersatzweise aber eine Seele von Karitas, bekam den Auftrag, kräftiger zuzupacken; die Liegezeit wurde ihm gekürzt und tägliches Schwimmen verordnet.
    Elvira brachte es fertig, die eigene Kur ganz seinem Rhythmus anzupassen. Was er auch tat oder tun mußte, sie konnte bei ihm sein. Ihr Gewichtsschwund galt als beispielhaft.
    »...Doktor Schütte sagt, ich schmölze förmlich. Er nennt mich nur noch >Schneemann<. Sag mal, ist deine Frau jetzt weiß oder immer noch so blond? Ich sah euch kürzlich in der Oper. Im Fernsehen. Sie nahm sich auffallend bescheiden aus. Sehr dezent!«
    Je mehr er sich erholte, desto unruhiger wurde er. Elvira sah die Ursache in seinem Verantwortungsgefühl für Werk und Belegschaft und bewunderte ihn, bis er fuhr.
    Ach ja — wieder Werkluft atmen — nur Erholung ist auch nicht das Wahre
    Hilde wurde Hildchen genannt. Und durfte ihn bewundern. Wie schlank er geworden sei! Auch der üblichen Verwechslung von braun mit gesund saß sie auf. Zwei Stunden lang verströmte der Chef Schaffenskraft wie aus der Sprühdose, hatte alles im Kopf, telefonierte, traf Entscheidungen, diktierte Briefe, knapp und klar, wie früher, überhäufte Hilde mit Arbeit für Wochen und verschwand, ebenso überraschend wie er gekommen war.
    »Na, Doktor, was sagen Sie zu meiner Bräune? Meine Diagnose war doch richtig. Laß mal los! hab ich mir gesagt, denk nur an dich! Noch zehn Tage und ich bin wieder der alte. Nein, heute lege ich mich nicht hin. Bin ja sozusagen nur auf Stippvisite. Ja, ja. Habe viel nachgedacht draußen. Und viel beobachtet. Sanatorien sind ein dankbares Feld. Was da an Lebenserwartung gepäppelt wird! Frischzellen und Vitaminstöße für das bißchen Ich. Und letztlich doch nur gegen die Angst. Sie sollten mich mal besuchen. Wir hätten viel Spaß! Ich habe auch einen Traum. Vielleicht ist er sogar informativ. Ich laß mich gerne überzeugen. Jetzt hab ich ja Zeit. Also: Ich fahre zu Ihnen. Plötzlich sitzen Sie — großgeschrieben — neben mir im Wagen und sagen: Wenn Sie sich wirklich für Psychologie interessieren, dann

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