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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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befassen Sie sich mit den drei Damen! — Auf dem Trottoir gingen drei Damen verschiedenen Alters. Alle drei maskiert. Eine war, glaube ich, meine Mutter. Ich sage: Gut, ich werde mich um sie kümmern. Was sagen Sie dazu? Ist das ein Traumbefehl von Ihnen? Was bedeutet das?«
    »Zu Ihrer Information: Jede Person, von der Sie träumen, sind Sie selbst. Das heißt: Nicht ich fordere Sie zu etwas auf, sondern der Therapeut in Ihnen. Überspitzt ausgedrückt, sind Sie auch das Auto und die Straße und das Trottoir...«

    Abends wieder bei Säften, am Zweipersonentisch. Vitamine und letzte Dinge. Sie läßt ihn reden.
    »Weißt du Elvira, wenn ich dir so zuhöre, dann beneide ich dich um deine kleine Welt. Was hat unsereiner denn im Grunde? Zuviel und doch zu wenig. Wenn ich heute die Augen zumache, wer soll mich ersetzen? Irgend etwas fehlt letztlich. Etwas, wo man sagen kann, man hat sich erfüllt. Noch ist es Zeit, noch ist es Zeit...«
    Mit blanken Augen, belebt vom Karotin des genossenen Saftes, sieht er sie an. Lange und tief.
    Sie könnte Pan sagen, läßt es aber, lenkt das Gespräch auf sich. Noch ist es Zeit — wie wahr, wie treffend! Wenn er sie beneide, gewiß, die musische Seite des Daseins, der geistige Eros, habe manchen Trost parat, aber, dem Wortsinn nach setze Trost voraus, daß etwas fehle, unerreichbar sei und eben, wie gesagt, auch in ihrem Leben sei mancher Wunsch offengeblieben, der bei ihm Erfüllung gefunden habe, bitte ohne sich hier mit seiner Bedeutung vergleichen zu wollen, aber, wie sie ihn so vor sich sehe, sei seine Ehe doch sehr glücklich — oder? — mit Kindern gesegnet, die sein Werk fortsetzen könnten, sie dagegen habe zweifellos viel Schönes und Anregendes erfahren, dauerhaftere Harmonie mit einem Partner sei ihr jedoch verwehrt geblieben, was auch an ihrem unbestechlichen Qualitätsgefühl gelegen haben mochte. Seine Worte: Noch ist es Zeit! an dieser Stelle abermals zu zitieren, verbat ihr der Instinkt.
    An den Tischen um sie herum wurden die Lämpchen gelöscht. Die Hausordnung, die Ruhe für die Gäste und Freizeit für die Angestellten, die Medizinisches mit dem Gewerkschaftlichen aufs praktischste verband, gemahnte ans Bett zu denken, was sie willig auch taten. Gehend sprachen sie weiter, treppensteigend, vor ihrer Zimmertür, vor seiner. Noch war ja Zeit. Nur eines störte sie: Die Befürchtung, die andern im Hause zu stören. Und das ungewohnte Stehen. Außerdem verspürte er plötzlich starken Durst. Warum gingen sie nicht ins Zimmer? Sie bestätigten einander, ausreichend erwachsen zu sein und jetzt ohnehin nicht schlafen zu können — Eben! Genau! —, daß sie viel zu aufgekratzt seien durch den »guten Dialog«, wirklich zwischenmenschlich, so wie man sich’s immer gewünscht hat, sanken scherzend auf die harte Massagecouch, das aufgedeckte Bett mit Elviras, wie von einem Schaufensterdekorateur darübergebreiteten Nachthemd vor Augen, rosa, etwas verwaschen, schwangen sich empor zur nächsten Sprosse beglückender Übereinstimmung und drückten einander jedesmal, wenn sie eines neuen Zusammenklangs inne wurden, emphatisch die Hände.
    »Ich möchte dir einen Wunsch erfüllen, Elvira!«
    »O Pan! Dann schenk mir ein Opernabonnement! Mir sind die Karten zu teuer. Außerdem bekommt man nie welche. Und das Fernsehen ist kein Ersatz. Neulich sah ich eine Aufzeichnung von La Traviata, hervorragend besetzt! Ich singe so gerne mit. Nun kenne ich ja fast jede Note. Und da dachte ich — du wirst mich gleich auslachen — aber da dachte ich: Einmal da droben stehen, nur ein einziges Mal und singen, einfach nur singen! Am liebsten Wagner.«
    Er küßte ihre Hände und hätte um ein Haar Kundry zu ihr gesagt. Aber das war nicht mehr nötig. Sie lag an seiner Schulter und sang, leise, doch kundig, den berühmten Sopranpart von der Erlösung durch die Taufe zur Christin. Bis er, die heidnische Kraft seines Grals länger zurückzuhalten nicht mehr imstande, sie aufhob, die Weitertönende hinübertrug, stehend-hebend mit einem kecken Kick des Spielbeins das verwaschene Rosa entfernte, auf daß kein profaner Schleier die Wogen der Weihe verneble. War Wagner Wegbereiter — ficht jetzt der Vollender mit frivolem Florett. Funktionen herrschen, motorisch sorgen die Organismen für optimalen Ablauf, jeder für sich: Verschmelzung als Kampfmotiv nach strenger Partitur. Musikantische Lust ergreift die Selbstversorger, läßt sie aparte Harmonien finden und wiederholen, trägt sie mit

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