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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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nichts geschieht ohne tieferen Sinn, Zufall ist das, was mir zu-fällt, zu-fallen muß. Daran glaube ich fest. Es gibt schicksalhafte Begegnungen, die ein so hohes Maß an Übereinstimmung erkennen lassen, daß zwischenkörperliche Begleiterscheinungen überhaupt nicht ins Gewicht fallen, sich den Maßstäben gängiger Moralvorstellungen von vornherein entziehen...«
    Schweigend folgt ihm der Doktor ins Moor der Rechtfertigung. Zu sagen, daß die meisten Menschen, wenn sie glauben, ihre Meinung oder Empfindung kundzutun, nur Erziehung absondern, wäre zwecklos. Einmal ist, bei jedem Patienten, die Sexualität an der Reihe. Der Besucher kommt zur Sache. »Ja Doktor, so ist das Leben! Andrerseits kommt man sich doch irgendwie schofel vor. Schließlich hat man eine Frau. Und Kinder. Aber was soll man machen?«
    » Wer soll was machen? Man oder Sie?«
    »Man sagt doch so! Bei diesem Thema muß man reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Wenn’s um die Wahrheit geht, kann ich nicht auf meine Sprache achten!«
    Der Doktor lächelt.

    Altbauwohnungen der unteren Preisklasse haben trotz fester Mauern einen hohen Geräuschpegel: je weniger Teppiche die Mieter besitzen, desto öfter werden diese geklopft.
    »Jetzt wirds sich glei wieder beschwern!« sagte die führende Klopferin des Anwesens, eine Endfünfzigerin aus dem dritten Stock Mitte zu der werdenden Mutter vom Parterre links, die ihren Abfallkübel leerte.
    Zustimmendes Gelächter.
    »Gestern hätten’s da sein solln!«
    Die junge Mutter stieß den umgestülpten Eimer energisch am Rand der Mülltonne auf, um die drei Eierschalen, die auf dem Boden festklebten, zu lösen.
    »Gestern war ich bei meiner Nichte am Hasenbergl — ein scheener Neubau, aber hellhörig! Da wär die schon längst explodiert!«
    Sie deutete mit dem Klopfer nach oben, obwohl keinerlei Unklarheit darüber bestand, wen sie meinte. Die junge Mutter lachte.
    »Gestern, mei... Der Lumpensammler war da, der nette, wissen’s. Und weil’s Töchterl von meiner Nachbarin im Hof mit ihrer Puppn gspielt hat, hat er halt mit ihr gredt. Da plärrt die auf einmal zu ihrm Fenster raus, er soll sich schleichen, sonst zeigt’s ihn an. Hat die den für an Sittenstrolch g’haltn!«
    Die Klopferin befestigte beidhändig eine lockere Haarnadel.
    »Halbjüdin is halt! Nicht Fisch und nicht Fleisch.«
    Sie schlug los. Doch so sehr sie sich auch plagte, so oft sie hinaufschaute, um der erwarteten Wirkung teilhaftig zu werden — heute lärmte sie umsonst. Elvira stand im Badezimmer, lockte was die Natur glatt konzipiert hatte und fühlte sich überhaupt nicht gestört. Trefflich unterstrich der Rhythmus aus dem Hof den Gesang, mit dem sie ihre Verschönerung begleitete, die Arie: Wer fröhlich das Leben genießet, aus dem ersten Akt der Oper La Traviata von Giuseppe Verdi.
    Als Erich, der Chauffeur, die Mütze abnahm und die Wagentür öffnete, lagen die Mieter in den Fenstern. Elvira faßte den Pelz aus besseren Tagen knapper und genoß die Abfahrt mit dem distinguierten Kavalier. Dabei hatte er den Hut aufbehalten, ihr beim Einsteigen keine stützende Hand gereicht. Ihm war es Aufsehen genug. Wenigstens unerkannt wollte er bleiben. Doch der Ehemann der werdenden Mutter aus dem Parterre links hatte sich die Nummer gemerkt. Anderntags, als er, trotz bevorstehender Entbindungskosten, dem Kauf eines Gebrauchtwagens nicht widerstehen konnte, erfuhr er bei der Zulassungsstelle den Namen des Eigners. Die Hausgemeinschaft mit dieser Nachricht zu versorgen, war ihm die Gebühr für die Auskunft wert.
    Elvira sprach viel während der Fahrt zum Sophiensaal. In Abständen nickend, überlegte der Chef, ob es vertretbar war, den Geschäftsfreunden abzusagen, da mi t Pan Zeit habe. Sie holte sich seine Hand.
    »Ich weiß, was dich beschäftigt. Und es freut mich, daß es dich beschäftigt. Alles, was das Leben wirklich lebenswert macht, hast du bis jetzt verdrängt. Eros im geistigen Sinne.«
    Das Publikum, das sich im Saal einfand, ließ keinen Zweifel auf kommen: Hier trafen gute Menschen zusammen, interessiert für eine Sache, die weder als Mode noch als Attraktion anzusprechen war, schlichte Menschen, sorglich gekleidet, mit offenem Blick, verläßliche Erscheinungen, in der Mehrzahl weiblich. Hände fielen ihm auf, deren Ausdruck auf kunstgewerbliche Fähigkeiten schließen ließ, Töpferei vor allem, aber auch Weben, Glasmalen, Falzen, Falten und Kleben, Hände, die bei passender Gelegenheit zur Laute greifen, zur

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