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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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nicht teilhaftig werden durfte. Rechnet man diesen Spielarten die latent partnerfeindlichen hinzu: den Wunsch des einen, noch zu lesen, während der andere schlafen will; die letzte Zigarette an der Seite eines Nichtrauchers, oder Sorgen, die, aus Liebe verschwiegen, zum Partner hinüberstrahlen, ihn am Einschlafen hindern — so kommt man um den Schluß nicht herum, daß wahre Erquickung auf die Dauer nur der Alleinschlaf beschert. Unabhängig vom Familienstand. Gelegenheitsgefährten sind kündbar; Ehe aber, aus dem Bettwinkel betrachtet, wird zur Raum- und damit zur Geldfrage.
    Und, selbst wenn Fortuna in dieser Hinsicht Spielraum bewilligt, bleibt Partnerschaft ein Wagnis. Auch in Einzelbetten, in getrennten Räumen, auch durch Türen läßt sich’s spüren, was der andere denkt, ob es Welten sind oder nur Meter, die die Liegenden voneinander trennen. In Ehen ist selbst auf die innere Einsamkeit kein Verlaß. Das erfordert doppelte Distanz. Für Beischlaf ist die Nacht zu schade. Nächtliche Klausur zwingt zur Besinnung, zur Anmeldung dringender Forderungen über den Traum. Sich selbst überlassen, wird mancher Mensch zum Beamten. Er ordnet, rechnet, stempelt Eingang und Ausgang. Der Ältere, ökonomischer denkend, behilft sich gern mit Notizen.
    Seine Frau lag in ihrem Bett, las ältere Tagebuchaufzeichnungen und fügte neue hinzu.
    ...Elvira zum Tee dagewesen. Sie paßt doch nicht zu uns. Oder lag es an mir? Ich mag keine neuen Freundschaften. Wozu? Sie bewundert ihn. Vielleicht hat er deshalb so viel geredet. In der Beziehung hab ich ihn nie verwöhnt. Sein Lachen war nahezu unerträglich. Überhaupt hat er gerade eine schlechte Zeit. Wenigstens schnarcht er wieder...
    Als morgens der Wecker klingelt, setzt er sich auf, nimmt Block und Bleistift, um den Traum festzuhalten:
    Ich singe in der Oper. Gurnemanz. Elvira tanzt um mich herum. Sie ist sehr obszön. Sie animiert mich. Ich will weg. Wenn meine Frau uns sieht...
    Er legt den Bleistift weg, zerreißt das Blatt in kleine Schnipsel, ungestüm.
    Diesmal betritt kein strotzender Kurgast die von Sorgen und Parfum der Vorgängerin frisch gelüftete Praxis, kein Vitalitätsvorturner legt die Jacke ab, herein kommt im Nadelstreifenanzug mit dazu passendem Schlips und Lächeln, der, nicht zu übersehen, psychologisch versierte, ironische Beobachter seiner Umwelt, sozusagen ein Kollege. Daß er sich trotzdem auf das weiße Frotteetuch mit der grünen Klammer legt, unaufgefordert, erstaunt den Doktor nicht. Der Besucher hat sich eine neue Rolle ausgedacht, den Umweg zu sich selbst zu verlängern.
    Er entschuldigt sich, den letzten Termin kurzfristig abgesagt zu haben, nennt aber keinen Grund. Die Kur habe ihm jedenfalls gutgetan. Ein kollegiales Zwinkern, Einleitung. Von der Massageschwester im Sanatorium ist die Rede, von dem einzigen, wie er sich ausdrückt, häßlichen Entlein im Hause, das, trotz seines unvorteilhaften Äußeren, einhellig als wahrhaft christliche Schwester, als bester Mensch am Platze anerkannt worden sei. Er jedoch habe gesehen, wie sie auf der Straße zwei streitende Kinder auseinandertrieb und dabei den Schwächeren schlug, derb schlug. Da habe er sie erkannt: Sie führe, um bei einem vertrauten Vergleich zu bleiben, ihre Menschenliebe als kleines Hündchen an der Leine. Ohne ihren Beruf hätte sie vermutlich nie einen Mann auch nur anfassen dürfen. Als Massageschwester dagegen habe sie diese Gelegenheit. Da niemand sagen konnte: Wie schön ist sie! — habe sie es geschafft, daß alle sagen: Wie gut ist sie! Was ihn dabei interessiere, sei dieses Herausputzen der Schattenseite. Jeder habe sein »Hündchen«, nenne es Nächstenliebe, Herzensgüte, Gerechtigkeit, soziales Gewissen, daß man fast behaupten könne, Charakter sei im Grunde nichts anderes als gut getarnte Niedertracht. Aufrichtig sei nur der Sünder, ihm zu vergeben Christenpflicht.
    »Hatten Sie einen Traum?« fragt der Doktor entgegenkommend.
    »Nein. Übrigens, mit Ihrem Rat haben Sie mir etwas Schönes eingebrockt. Um ehrlich zu sein, etwas sehr Schönes!« Diskret schildert er das Nötigste. Sofort stellt der Doktor richtig: Von Animierung zu sogenannten Seitensprüngen könne nicht die Rede sein.
    Das klingt nicht nach Zustimmung; der Besucher begründet: »Ein Mann, dessen Urteil ich sehr schätze, hat einmal gesagt: Allein die Bereitschaft zur Untreue hat schon manche Ehe gerettet! — Das nur nebenbei.«
    Es folgen Entschuldigungen:
    »Alles im Leben ist Bestimmung,

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