Ich liebe mich
Geschlechtsgenossen beizustehen. Unwillkürlich trat der Chef einen Schritt zurück. Da streckte sich der kleine Mann dem Telefonhörer entgegen und rief:
»Grüßen Sie Ihre Frau Gemahlin unbekannterweise!«
Elvira hatte ihn gehört und gab den Chef seinen Besuchern frei. Jetzt strahlte der Gewerkschaftler.
»Nix für ungut, Herr Direktor. D’Frau muß hören, daß man nicht allein is. Sonst dauerts ewig.«
»Aber eine Männerstimme muß es sein! Sonst dauerts noch länger«, belehrte ein anderer. Vereinsstimmung breitete sich aus. Der Chef sah darin einen guten Ausgangspunkt für das Gespräch, entschloß sich zur Hemdsärmeligkeit, bedankte sich mit Schulterklopfen, drückte auf den Knopf, Hilde erschien: er bestellte Bier.
Als er mit den Gewerkschaftlern anstößt, fällt ihm die Geschichte von dem Kollegen in Westfalen ein, der vor Jahren seinen Frieden mit der Gewerkschaft geschlossen und sein Werk der Belegschaft vermacht hat. Auch er könnte diesen Weg gehen. Seinen Privatfrieden schließen, statt sich dem Verbandsklüngel der Arbeitgeber zu fügen. Der Gedanke reizt ihn, er wird ihn in das Gespräch einflechten, einmal vorfühlen, die Reaktion testen, ein Angebot machen, unverbindlich, Scherz beim Bier...
Am späten Nachmittag bei den Unterschriften fragte er seine Sekretärin:
»Sagen Sie mal, Hildchen, warum tragen Sie eigentlich nie ein Dirndl?«
Die Sekretärin, in tadellosem Schneiderkostüm, auf alles gefaßt, mit gepacktem Köfferchen im Schrank jederzeit bereit, den Chef nach Düsseldorf zu begleiten, nach London, Paris, Basel, ins provisorische Schilda am Rhein, war sprachlos.
»Was schauen Sie denn so? Wir sind ein Münchner Unternehmen. Nichts liegt näher, als daß Sie sich nach Landessitte kleiden.«
»Aber Herr Direktor!« Es klang ausnahmsweise ein bisserl münchnerisch. »Das paßt doch nicht zu unserer Firma.«
»Gelegentlich«, schränkte er ein. »Wenn die Gewerkschaftler wiederkommen zum Beispiel.«
Hilde liebte ihren Beruf. Um keinen Preis hätte sie ihn gegen das beschaulichere Dasein einer Hausfrau eintauschen mögen. Wie immer brachte sie die letzten Briefe zum Postamt, fuhr nach Hause in die saubere Siedlung nahe dem Flughafen Riem, holte ihre kleine Tochter bei den Mietern gegenüber, die sie tagsüber für ein Kostgeld versorgten, ab, badete sie, aß mit ihr zu Abend, ließ sich erzählen, brachte sie ins Bett und erfand im Dunkeln eine Geschichte, die in pädagogischer Verpackung alles enthielt, was das Kind gerade beschäftigte. Als Monika endlich schlief — es dauerte an diesem Abend besonders lange — holte sie ihr einziges Dirndl aus dem Schrank. Wann hatte sie es zum letztenmal getragen? Monika war noch nicht auf der Welt. In der Taille spannte es. Am Samstag fuhr sie in die Stadt, kaufte ein neues und brachte es am Montag noch verpackt ins Büro.
Der Chef hatte die Post gelesen und klingelte zum Stenogramm. Ausnahmsweise sah er auf, als sie eintrat.
»Ja, Hildchen!«
»Ich hab’s nur mal probeweise angezogen.«
»Steht Ihnen sehr gut!«
Sie mußte sich drehen wie ein Mannequin. Willig ließ sie den apfelgrünen Rock tanzen: Heute sah er sie. Verschämt, aber viel zu beschwingt, um innezuhalten, verfolgte sie seinen Blick, brachte zur Geltung, was ihn verweilen ließ.
»Sehr gut, Hildchen! So machen wir’s. Donnerstag, wenn die Herren vom Spitzenverband kommen, erscheinen wir beide in Tracht.«
Kraft kommt nur noch aus dem Volkstümlichen — da hat Elvira recht. Er spürt es. Er schläft wieder besser. Dazu mag auch sein spezielles Opernabonnement beitragen, die Mittagspause in Elviras Armen mit anschließendem Kaffee. Er genießt, was sie ihm bietet. Was sie ihm bietet, hat einen Hauch französischer Lebensart. Sie sagt es selbst. Was Pan ihr bietet, hat jetzt einen Schuß Urwüchsigkeit. Er ist überzeugt davon. Elvira genießt durchaus nicht stumm.
Danach aber verspürt er einen unbezähmbaren Drang zu laufen, zu laufen, die spät geliebte Stadt zu erwandern, im Lodenmantel, und zwar allein. Er muß Abstand schaffen. Mit den Augen des Romantikers durchstreift er die lärmerfüllten Straßen, sollte längst wieder im Werk sein, er weiß es, läuft weiter, zu dem Haus zwischen Hacken- und Brunnenstraße, wo Heine gewohnt hat, träumt, während der Sekundenzeiger ihn vor sich herschiebt, von beschaulicheren Zeiten, läuft zu den Tandlern hinterm Viktualienmarkt, kauft einen Stich für sein Büro. Überm Ledersofa soll er hängen, genau im Blickfeld:
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