Ich liebe mich
München, zweihundert Jahre vor Elvira, mit Schutzmauern und Kirchtürmen. Ein Bild der Ordnung und Geborgenheit.
Manchmal läßt er sein Opernabonnement verfallen, die Platzmiete auf Elviras üppigem Polster, ißt in einem Bräu, redet mit den Menschen. Was er hier hört, stimmt ihn heiter. Sogar mit der Straßenbahn ist er schon gefahren.
Die neue Variante seines dynamischen Führungsstils blieb auch der Belegschaft nicht verborgen. In der werkseigenen Turnhalle sollte ein bayerischer Heimatabend stattfinden. Der Chef selbst engagierte das Ensemble des Volkstheaters mit Ludwig Thomas Schwank vom alten Feinschmecker und kündigte zu diesem Anlaß sein Erscheinen mit Familie an, was seit der Grundsteinlegung für die Arbeitersiedlung nicht mehr vorgekommen war. Da die Inszenierung gerade auslief, dauerte es einige Zeit, bis der Regisseur seine durch Film- und Fernsehtätigkeit zerstreute Spielschar auf einen Abend festnageln konnte.
Dem Chef kam die Verzögerung gelegen. Er hatte Unerfreulichkeiten — einen Anruf des Industriekaisers, der mit einem rüde vorgebrachten Wunsch sein Investitionsprogramm störte — und im Zusammenhang damit eine Reise nach Bonn. Dort wurde er länger aufgehalten, als er erwartet hatte. Der Festabend fand ohne ihn statt. Hilde vertrat die gesamte Familie. Im Dirndl.
Allein die Familie entging dem neuen Lebensgefühl ihres Oberhauptes nicht.
»Papi, das darf nicht wahr sein!« sagte Stephanie, als der Vater in lederner Bundhose unerwartet zum Tee erschien. Er hatte sie gekauft, auf seinem Spaziergang durch die Stadt, und für seine Frau eine Biedermeierbrosche.
»Das ist etwas Altes, Reelles, keine Brillantkonfektion.«
Sie schien gerührt, bedankte sich mehrfach und bedauerte nur, daß er sie nie mitnehme auf seinen Spaziergängen. Nach dem Tee entsprach er ihrem Wunsch. Sie gingen zur Isar hinunter und wieder zurück.
»Du hast dir einen anderen Schritt angewöhnt«, stellte sie fest.
»Wie meinst du das?«
»Du machst größere als früher.«
»Vielleicht weil ich mehr gehe.«
»Vielleicht.«
»Nach der Kur ist Gehen das Wichtigste.«
»In unserem Alter überhaupt.«
»Geh etwas schneller, Liebes!«
»Ich könnte jetzt sagen: Harmonie ist nur im Gleichschritt möglich.«
»Ein sehr deutsches Vorurteil.«
Sie lachte.
»Stimmt nicht. Untergehakt zum Beispiel kann man nur im Gleichschritt gehen.«
Er blieb stehen.
»Dann mach du größere Schritte und ich mach kleinere. Links, zwo, drei, vier, links, zwo, drei, vier...«
In den oberen Einkommenskreisen ist es Usance, nicht allzu dringliche gesellschaftliche Verpflichtungen zu stauen und sich, möglichst nur einmal im Jahr, mit einer Cocktailparty zu revanchieren. Auch für Einladungen zum Abendessen dankt man neuerdings mit Cocktail. Um den Abend für die Geladenen repräsentativ zu gestalten, ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen, bedient man sich einer renommierten Feinkostfirma, die alles stellt: Das Kalte Büfett, die Getränke, den nicht zu übersehenden Holzkohlengrill, Geschirr und Silber, Tische, Stühle, die Kapelle, das Servierpersonal. Auf Wunsch in weißen Handschuhen. Glanzstück der gemieteten Gastlichkeit ist das sogenannte Partyzelt. Man feiert ja im Garten, so daß auch bei Wolkenbrüchen jedwede Unordnung im Heim vermieden wird. Man bittet Gäste in sein Haus, ohne sie ins Haus zu lassen. Da die renommierte Feinkostfirma bei allen dieselbe ist, ganz einfach weil man dort kauft, kann es geschehen, daß besonders begehrte Gäste an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden, bei jedem Häppchen sozusagen auf alte Bekannte beißen, ohne sich beklagen, ohne lästern zu können, daß man in diesem Hause längst nicht so gut esse wie in jenem.
Man tut, was man tut. So ist man vor der eigenen Unsicherheit am sichersten.
Angesichts derart fortschrittlicher Gastfreundschaft mußte sein Einfall wie etwas Ausgefallenes wirken: Leberkäscocktail mit Bier, Schrammelmusik, unterhaltsame Einlagen durch beliebte Volkskünstler, im eigenen Haus, ohne Hilfe der Feinkostfirma, Zutritt nur in Tracht.
»Eine reizende Idee!« sagten die Eingeladenen, um Antwort gebeten, am Telefon.
Und sie kamen. In neuen Dirndln, stilisiert oder originalgetreu, vom Tegernseer bis zum Berchtesgadener, was sie nicht hinderte, größere Mengen von Brillanten mitzubringen und falsches Haar aufzustecken. Die Herren erschienen in Joppen und Jankern aller Spielarten, Hosen mit Biesen, mit Generalsstreifen — jedenfalls in Grün —,
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