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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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mir. Man hält sich kein Tier nur zum Zeitvertreib.«
    Golo steht auf, öffnet die Terrassentür.
    »Komm Herkules! Mußt nicht draußen sitzen, gehörst auch zur Familie!«
    Schwanzwedelnd trippelt das väterliche Gewissen ins Zimmer, macht einen Bogen um den Getadelten, setzt sich zwischen Mutter und Tochter auf die Hinterbeine und bittet um Frühstück.
    Vater und Herrchen sind Chef.
    »Hier wird nicht gebettelt! Pfui! — Die Sache besprechen wir ein andermal.«
    »Wie war’s gestern abend?« fragt seine Frau. »Erzähle.«
    Er bedauert, daß sie nicht dabeigewesen sei. Leicht hätte man zu Elviras Freikarten eine dritte dazukaufen können, es habe noch Plätze gegeben. Das Lob für den Dichter gerät ihm großzügiger, als er will; bei der Schilderung des Abendessens mit dem Meister, insbesondere der vorbildlichen Künstlerehe — die Frau sei auf allen Vortragsreisen dabei — kommt er ins Schwärmen. Bis ihn seine Tochter stoppt.
    »Papi, du glaubst doch nicht im Ernst, was dieser Lesering-apostel von sich gibt? Wer so schummrigen Edelmut verbreitet, kann nur ein Kitschier sein.«
    Auch Golo kritisiert den Dichter.
    »Keine Vorurteile!« mahnt der Vater.
    »Hast du’s ganz gelesen?« fragt der Sohn.
    »Nein.«
    »Aber ich.«
    »Trotzdem...« sagt der Vater.
    »So heißt die Notbremse aller Pädagogik«, unterbricht die Tochter.
    »Trotzdem«, sagt der Vater. »Keine Verallgemeinerungen bitte! Ihr ward nicht dabei. Ein Mann, dem es gelingt, seine Zuhörer in eine positive Stimmung zu versetzen, ist mir immer noch lieber als ein Grünschnabel, der, angeblich um der Wahrheit willen, alles herunterreißt.«
    Energisches Kopfschütteln der Tochter.
    »Ich fürchte, jetzt verallgemeinerst du. Hast du je ein sogenanntes zersetzendes Buch gelesen? Die stehn alle oben bei mir.«
    Mutter muß schlichten. Es gibt anderes zu besprechen. Noch einmal berennt der Vater die Meinung der Zwillinge.
    »Es war jedenfalls hochinteressant, München einmal von einer anderen Seite kennenzulernen. Ihr solltet euch auch mehr umsehen! Nicht nur in Schwabing.«
    Golo nickt.
    »Einverstanden. Geh’ mal mit uns ins Deutsche Museum.«

    Herkules ist wieder dabei. Herkules leidet an Herrchen.
    »Ach ja, Doktor, einige schlechte Nächte gehabt, Schwitzen, Herzflattern. Sehr entmutigend. Es ging doch gerade besser. Vielleicht eine Reaktion auf die Kur, jetzt wo man wieder im Trott ist, oder durch zu rasches Abnehmen. Wer weiß? Beim Wachliegen fiel mir der Psychologenwitz ein, von dem Bettnässer, der zum Therapeuten geht. Nach einigen Wochen trifft er den Freund, der ihn hingeschickt hat. Ob es besser geworden sei, fragt der Freund. Darauf die bekannte Antwort: Das Leiden ist noch das gleiche, aber jetzt macht es mir Spaß. An dem Witz ist etwas Wahres dran! Er sagt, daß die Psychologie imstande ist, den Blickwinkel zu verändern. Eine kleine Drehung in der Einstellung, und was einen vorher gestört oder belastet hat, wird, wenn nicht gerade zum Heidenspaß, so doch als normal empfunden. Der Druck ist weg. Auf dieser Klaviatur müßte man spielen können!«
    Ob er ein Beispiel parat habe, fragt ihn der Doktor.
    »Tja, nehmen wir einmal an, jemand müßte aus irgendeinem Grunde eine... einen Freund, einen Geschäftsfreund belügen. Und das würde ihn bedrücken. Was könnte er in diesem Fall tun, um besagte kleine Drehung zu vollziehen? Ganz allein, ohne Hilfe.«
    »Sie kennen ja meine Fragerei«, antwortet der Doktor.
    »Muß dieser Jemand seinen Freund tatsächlich belügen? Was wäre, wenn er ihn nicht belügen würde? Was wäre die Wahrheit? Belügt er sich selbst? Oder beide? Oder hat das eine mit dem andern gar nichts zu tun?«
    Spontan die Antwort:
    »Genau! Das ist es!«
    Herkules springt an Herrchen hoch, leckt ihm die Hand.
    »Ist gut, Herkules. Ja, du bist auch da. Schön Platz jetzt! Entschuldigen Sie, Doktor, ich hätte ihn zu Hause gelassen, aber ich muß mich um ihn kümmern. Tiere sind nicht nur zum Zeitvertreib da.«
    Hätte er einen Patienten vor sich, würde der Doktor der Frage nachgegangen sein. Bei diesem Besucher aber, der ohnehin dazu neigt, ihn als Instanz zu gebrauchen, ist er auf Abstand bedacht und empfiehlt, gleichsam als abschließenden Scherz:
    »Manchmal ist auch eine ironische Einstellung recht nützlich. Damit schaffen Sie Distanz und haben immer eine Ausweichmöglichkeit. Müßte Ihnen liegen.«

    Elvira wollte durch den Hofgarten gehen, an der Residenz vorbei — vielleicht konnte man sich einer Führung

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