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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Mädchen — hab sie dir mal gezeigt, in einer Illustrierten, schon eine Weile her — die war wirklich nett. Das heißt, als sie noch Medizin studiert hat. Dann wurde sie entdeckt. Vor der Uni, von einem Fotografen. Von dem Tag an dachte sie, sie sei jemand, ließ das Studium sausen und ihre alten Freunde, mußte dauernd wegfahren, zu Modeaufnahmen, plötzlich hatte sie Geld, ging aus in teuren Kleidern mit den entsprechenden Knilchen. Sie kam zwar immer wieder, rief an, schickte Karten, brachte kartonweise Fotos, oft mit kaum was an. Und dann paßte ihr auf einmal mein alter VW nicht mehr und das Lokal nicht, wo wir früher immer tanzen gewesen waren. Nun machte sie ganz auf Schau: Pelzmantel und behängt, daß ich mir vorkam wie ein Papagallo, der eine reiche Touristin abschleppt. Dabei war ich nicht kleinlich, sie hat mich ziemlich Geld gekostet. Jetzt soll sie angeblich in Paris sein. Ich kann sie sogar verstehen. Wer wartet heute noch, bis einer fertiger Mediziner ist? Siehst du, Paps, deswegen kommt für mich nur eine Ältere in Frage, die diesen Zirkus schon hinter sich hat.«
    Mit blauen Lippen sah der Vater ein, daß ihm vorläufig weitere Wasserskitouren nicht erspart bleiben würden. Er war nicht einmal unglücklich darüber. Man mußte Kontakt mit der Jugend haben. Golos offene Worte taten seinem Vaterherzen wohl. Er malte sich aus, wie er helfen könnte, aß mit ihm in der Stadt zu Mittag, saß mit ihm vor Boulevardcafes, nach reiferen Damen spähend, die ihm unerschwinglich jung vorkamen.

    Hildes Vertretung gab sich große Mühe. Das bedauerte jeder, der mit ihr zu tun hatte. Nicht, weil sie allzu ehrgeizig gewesen wäre, oder laut, oder Unruhe verbreitet hätte. Was sie verbreitete, war ein Sekretionsduft, der ans Werbefernsehen denken ließ, an jene adrette Bürohilfe, die mit Papieren in der Hand von Schreibtisch zu Schreibtisch geht und sich wundert, daß ihre Herzlichkeit nirgendwo erwidert wird, bis ihr die Kollegin auf der Damentoilette den Grund sagt und dabei das nasenfreundliche Sprühmittel aus der Handtasche zieht, das Kontakte schafft, Nächstenliebe fördert, Völker verbindet. Besonders an Hochsommertagen wie heute.
    Hildes Vertretung stand neben dem Schreibtisch, zeigte dem Chef Zeitungsausschnitte, die seine jüngste gute Tat spiegelten: Deutscher Industrieller stiftet Ferienplätze für einhundert Berliner Kinder! Bei den Unterlagen für die Steuer befand sich auch ein Brief des Transportunternehmers: Er hatte nur vierundachtzig Kinder übernommen; sechzehn waren in Privatwagen ans Ziel gebracht worden, von Eltern oder Verwandten, die auf der Fahrt nach Italien den kleinen Umweg in Kauf nahmen.
    Glücklicherweise klingelte im Vorzimmer ein Telefon. Hildes Vertretung ging; der Chef konnte sich an den Pressestimmen freuen. Aber er freute sich nicht. Sein Herz schlug unregelmäßig, er war mürrisch, gereizt, hatte schlecht geschlafen und, wie er fand, allerhand unsinniges Zeug geträumt:
    Er geht mit Golo in eine Badeanstalt. Der Sohn sieht ein Mädchen, das ihm gefällt, und macht ihn darauf aufmerksam. Das Mädchen wirkte knabenhaft. Golo bittet ihn festzustellen, ob das Mädchen die Richtige für ihn sei. Er nimmt ihn bei der Hand, geht auf das Mädchen zu und spricht es an. Als er dem Mädchen die Hand gibt, fühlt er, daß er jünger wird. Sein Sohn ist nicht mehr da. Oder ist er selbst sein Sohn? Beides ist ihm recht. Hand in Hand geht er mit dem Mädchen über eine Wiese und sagt: »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin immer für dich da.«
    Was soll man dazu sagen? »Alle Personen, überhaupt alles, was Sie träumen, sind Sie auch selbst. Aber nicht nur...«, hat der Doktor einmal gesagt. Das verwirrt. Wenn ein Traum nicht verständlichere Bilder liefert, läßt man lieber die Finger davon. Es widerstrebt ihm, weiter darüber nachzudenken oder in sich hineinzuhorchen, wie der Doktor es nennt. Er hat einen Termin mit ihm vereinbart für den Nachmittag. Aber er wird nichts davon erzählen. Träume sind unzuverlässig; er kann bessere Informationen bekommen für sein Geld.
    Hildes Vertretung stand wieder im Zimmer. Ausgerechnet sie benützte die Sprechanlage sparsam.
    »Eine Konzertdirektion ist am Apparat, Herr Direktor. Es handelt sich um irgendwelche Karten. Die Dame läßt sich nicht abweisen. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Würden Sie mir den Gefallen tun und abnehmen?«
    Der Arbeitgeber entlastete die für seine Entlastung bezahlte Arbeitnehmerin. Was er

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