Ich liebe mich
Bikini gehst du doch nicht öffentlich baden?«
»Wieso? Sei nicht altmodisch, Papi.«
Er sucht nach Worten der Entrüstung. Sie spricht weiter. »Die Jungen sehen das gar nicht. Nur die Alten stieren einen an. Sonst ging ich überhaupt oben ohne. Ich kann mir das leisten. Ich bin nicht uferlos wie deine Elvira!«
Streng blickt der Vater, keck die Tochter.
»Du glaubst mir nicht? — Bitte! Überzeuge dich!«
Er hätte es ihr verbieten müssen, sich abwenden und ins Haus gehen. Das wäre die richtige Antwort gewesen. Jetzt erst, Stunden später im Werk fiel sie ihm ein. Er dachte an die Sitten der Völker, die sich wandeln mit den Zeiten. Vielleicht war Stephanie arglos, fand nichts dabei? Warum hatte sie Elvira erwähnt? Was ging in ihrem Unterbewußtsein vor? Er dachte an Initiationsriten, an das Jus primae noctis, schob den Gedanken beiseite und ärgerte sich über seine Reaktion. »Stephanie! Wenn uns jemand sieht!« hatte er gesagt, hastig, flüsternd, wie ein Liebhaber, wie ein Komplice. Hilde meldete über die Sprechanlage eine Dame von der Konzertdirektion, wegen Karten, die er bestellt habe. Zwar konnte er sich nicht erinnern, ließ sich aber verbinden.
»Ich bin es, Pan. Man muß sich schon etwas einfallen lassen, wenn man den Herrn Direktor erwischen will.«
Sie war voller Fürsorge — ob er schon beim Zahnarzt gewesen sei — wollte mit ihm Spazierengehen — zu seiner Entspannung, in die Oper — zu seiner Ablenkung; er könne auch zum Kaffee kommen — zu seiner Ermunterung. Jederzeit. Er entschuldigte sich, schützte Arbeit vor, setzte sich, während er sprach, gerade, seine Schenkel taten ihm weh, wodurch seine Absage einen klagenden Unterton bekam, der nach Überlastung klang.
Er war überlastet.
Hilde wollte ihren Jahresurlaub vorverlegen. Der betriebseigene Reisedienst hatte ihr zwei freie Plätze in einer Chartermaschine gemeldet, willkommene Gelegenheit, mit Töchterchen Monika nach Mamaia ans Schwarze Meer zu fliegen. Der Chef mochte ihr die Bitte nicht abschlagen, obwohl sie gerade jetzt besonders ungelegen kam. Noch vor den Parlamentsferien wurde die Umrüstung der Bundeswehr beschlossen. Das bedeutete Umrüstung auch im Betrieb, viel Arbeit, die er ungern einer Vertretung überließ. Hildes Urlaub kam immer ungelegen. Kondition war jetzt alles. Straffheit wurde zur Lust. Zu lange hatte man zuviel gesessen und zuviel gegessen.
Die morgendlichen Ritte strengen ihn mehr an, als er zugibt. Aber er behält sie bei, vom sichtbaren Erfolg am Bund seiner Reithose überwältigt. Das Schwimmen mit Stephanie entfällt. Ein stark duftendes Rasierwasser wird angeschafft und gegen die amüsierte Familie mit dem Argument >Man kann nicht den ganzen Tag nach Pferd riechen !< durchgesetzt. Gesellschaftliche Verpflichtungen am Abend werden eingeschränkt. Sehr zur Freude seiner Frau geht die Familie um Stunden früher schlafen. Auch die psychologische Information will er einschränken. Träume sind Schäume. Sein im Sattel durchgeschüttelter Organismus beansprucht die nächtliche Regenerationszeit voll für sich, läßt dem Unterbewußten wenig Möglichkeit, absurde Bilder zu entwickeln.
Obwohl er für seinen Kreislauf ritt, sah seine Frau darin eine Bevorzugung Stephanies. Von Golos Leidenschaft für den Wassersport nahm niemand Notiz. Golo galt als Einzelgänger. Dabei sei Schwimmen überhaupt das Gesündeste. Sagte die Mutter. Für den ganzen Organismus.
Der Chef fand Zeit. Trotz Umrüstung der Bundeswehr. Erbarmungslos zog Golo mit dem Motorboot seinen auf Wasserskiern balancierenden Vater im Fünfzig-Kilometer-Tempo über den Starnberger See. Ein besseres Ergänzungstraining für Reitermuskeln sei nicht denkbar, befand der cand. med., als der Vater schließlich schwer atmend im Boot lag.
Es könne doch kein Vergnügen sein, mit dem alten Vater im Schlepptau herumzukurven! Golo solle sich nicht absondern; Jugend gehöre zu Jugend. Und, was ihm schon lange auffalle: nicht jeden Abend über den Büchern sitzen; man könne alles übertreiben, auch den Fleiß; zu viel Arbeit in jungen Jahren, zu wenig Auslauf räche sich in späteren Jahren bitter. Das sei eine alte Tatsache und ihm als angehendem Mediziner vermutlich bekannt. Zum Abschluß sagte der Vater, was er eigentlich sagen wollte:
»Such dir ein nettes Mädchen!«
Golo stellte den Motor ab.
»Das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst, Paps. Die jungen Dinger sind alle albern und die Älteren verheiratet. Ich kannte da ein
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