Ich liebe mich
lippenfüßlerhaft aufgeworfenen Münder, würde sich um kritischen Ausdruck mühen, mit ihrem Milch-und-Honig-Gesicht. Stephanie!
Was haben sie noch vor sich an unsinnigem Einsatz! sagt sich der Begleiter im Blazer. Was müssen sie noch wollen, bis es ihnen endlich egal ist! Mitleid empfindet er mit dieser Jugend, die sich so ungepflegt geben muß, nur weil ihnen eine gewaschene Generation in Uniform vorausmarschiert ist, die, sich selbst überlassen, ihre Gefühle viel ungeschickter unterdrückt als die Kinder der Diktatur. Wären die anderen nicht da, mancher würde vor sich hinträumen, problemumflort, aber friedfertig. Doch die anderen sind da; einer erinnert den andern daran, wozu. So wächst aus gemeinsamer Ahnungslosigkeit die Gemeinschaft.
Jetzt liest ein anderer Autor, versucht mit Obszönitäten und Beschimpfungen Unheil zu stiften. Hier hätte Stephanie zuerst zum Glas gegriffen, um zu zeigen, daß sie, Mädchen vom Fach, Studentin der Germanistik, nicht gewillt ist zu folgen, hätte sich von dem Lesenden abgewendet, hörbar mit dem Stuhl gerückt, um schließlich die Empörung abzublasen. »Papi, das geht zu weit! Du mußt etwas unternehmen! Steh auf und sag ihnen die Meinung!« Er sieht sie vor sich, die Tochter in ihrem Zorn, als säße sie mit am Tisch. Seit damals, als die Beschwerden anfingen, hat er keine Rede mehr gehalten. Sein Mund ist trocken, er nimmt einen Schluck, wendet sich an das Mädchen.
»Trinken Sie, Babette. Das Coca-Cola wird warm.«
Sie schüttelt ihr Haar.
»Das Glas ist sicher auch nicht sauber. Von mir aus können wir gehen.«
Anschließend Diskussion — war auf dem Programmzettel zu lesen. Und so stand, nach längerem Grammatik- und Stilgeplänkel da plötzlich ein Herr im doppelreihigen Blazer gegen die Rollkragenargumente.
»Ich habe heute abend viel erfahren über Anarchie, Rausch, Inzest, die Nichtigkeit des Geldes, von dem wir hier unser Bier bezahlen, über Homosexualität zu dritt, was mir neu war, und über die Verlogenheit der Generation, der ich mich zurechnen muß. Mag sein, daß Sie der Wahrheit näher sind als wir. Ich wünsche es Ihnen jedenfalls. Aber wozu die Kraftanstrengung Ihrer Ablehnung? So genau zu wissen, was einem nicht paßt, ist doch schon sehr viel.«
Es sollte Hohngelächter werden, wurde aber keines. Babette rückte innerlich zu den anderen. Er spürt es, trinkt einen Schluck, fühlt kein Krämpfen im Hals, kein Herzklopfen, beschwichtigt mit der Hand das Gemurmel.
»Geben Sie sich keine Mühe, mich nicht zu verstehen. Dazu verstehe ich Sie zu gut. Wir haben alle mal links angefangen!«
Jetzt klang das Gelächter lockerer. Babette hob den Kopf und saß neben ihm.
Er fährt fort.
»Ich war auch mal gegen so manches, habe seinerzeit meine Kommilitonen bei der NSDAP bekämpft. Das war relativ einfach, weil ich den Gegner kannte, ihn angreifen konnte, mit den Fäusten, auch wenn wir nicht ganz genau wußten, wofür oder wogegen wir waren. Sie haben es schwerer. Niemand ist da, der ihnen den Mund verbietet. Wenn Sie protestieren wollen, melden Sie’s an und protestieren. Wenn Sie Zusammenkommen wollen, mieten Sie den Saal und dürfen alles miserabel finden, ohne fürchten zu müssen, daß man Sie einsperrt. Das ist hart!«
Zäsur. Griff nach dem Glas, Kreislauf weiter stabil, keine Sprechhemmung, auch nicht, wenn er dran denkt.
»Soviel ich verstanden habe, muß die Welt sich ändern, insbesondere Deutschland. Das wünscht sich die Welt, seit es Deutschland gibt. Wenn Sie Erfolg haben wollen, müssen Sie schärfer denken als die Opposition im Bundestag. Das ist zu machen, aber anstrengend. Sachkenntnis hält ungleich mehr auf als Eifer. Sollten Sie jedoch die nötigen Kenntnisse haben: warum formulieren Sie sie dann nicht? Engagement ist noch kein Programm. Aber das wissen Sie ja. Sollten Sie eines finden — Vorsicht! Schach bieten und matt gelächelt werden — das geht hierzulande schnell. Zumal bei Literaten. Im Lächeln sind wir Weltklasse. Am besten, Sie studieren das Metier, dem Ihre Abneigung gilt. Denn je brillanter Sie formulieren, desto weniger werden Sie erreichen. Die Masse folgt immer den gröbsten Parolen. In der politischen Arena ist der Dichter eine lächerliche Figur. Besonders, wenn er’s ehrlich meint. Belasten Sie sich nicht mit Anliegen. Bleiben Sie bei der Phantasie. An der mangelt es. Wenn dann die Tantiemen kommen, sieht die Welt sowieso anders aus.«
Das genossene Bier verhinderte weitere Ausführungen.
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