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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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eilt er davon.
    Um keinesfalls erkannt zu werden, erledigte er das, was Babette als Grund für sein Verschwinden ansah, im Nachbarcafe, eine Verrichtung, die sich bei nachlassender Ergiebigkeit neuerdings häufte, verließ die Baulichkeit durch einen Nebenausgang, ging zurück zum Gehsteigrand, um die Lage im Schutz geparkter Autos zu überblicken.
    Wenn diese Brockhoffs sich einmal entscheiden wollten wohin sie gehören — hier stören sie ungemein
    Sie entschieden sich nicht. Jedenfalls nicht zum Gehen, schauten, saßen, schwiegen, aßen. Um so mehr redete Babette, zeigte den jungen Männern am Tisch ihre Beine, ihr Lachen. Und er, durch eine Limousine lurend, konnte nichts verstehen, wußte nicht, ob sie flirtete oder nur scherzte oder beides oder noch etwas dazu. Nutzlos, den Boulevard zu verwünschen als Vertreterparadies, Amüsierbörse, Drive-in-Lustgarten der Weltstadt.
    Plötzlich fuhr seine Deckung rückwärts, die Auspuffrohre drohend auf seine Schienbeine gerichtet. Er wich zurück, wurde angehupt, wich in einen Motorradfahrer aus, blieb in der Fahrbahn stehen, von Schimpfworten der Vorbeifahrenden wie von Beschwörungsformeln gebannt, obwohl er im Fahrtwind meist nur den Anfang verstand: »Ar... Id... Schei...«, bis eine ferne Ampel ihn befreite. Brockhoffs waren weg.
    Weil es ihm peinlich ist, Babette allein gelassen zu haben, spricht er von einem wichtigen Telefongespräch, betont, daß er an sich im Werk sein müsse, bereut die Andeutung, aber Babette läßt sich nicht belasten.
    »Macht nichts«, sagt sie. »Ich habe mich gut unterhalten.« Und stellt, ohne Namen zu nennen, die jungen Männer am Tisch als Mitglieder eines literarischen Clubs vor. Er hat von diesem Club gehört, flüchtig, durch Stephanie. Die beiden jungen Männer haben Babette zu einer Dichterlesung eingeladen. In eine Brauerei.
    »Wird da auch literarisches Bier ausgeschenkt?« fragt er, um witzig zu sein. Die jungen Männer behandeln ihn nachsichtig. Er wünscht sich ein Dach überm Kopf. Vor Jahren hat er einmal festgestellt, daß Persönlichkeiten, Männer mit großer Verantwortung, zumal aus Politik, Finanz und Wirtschaft, unter freiem Himmel an Ausstrahlung verlieren. Mehr als Geistes- oder Naturwissenschaftler zum Beispiel. Die Sonne drückt, macht sie älter, kleiner. Führungskräfte bedürfen des Innenraums, brauchen Wände, die ihre Erscheinung reflektieren. Bei Betriebsbesichtigungen ist ihm das aufgefallen, wenn die Sonne erbarmungslos welke Hälse oder Hände gleichsam im Verfolgungsscheinwerfer festhielt, müde Schultern, übergroße, bleiche Ohren, schlechte Zähne, Altersflecken auf Stirnen, Glatzen.
    Er bezahlt.
    Vorbei an Bildern biederer Gegenstandsloser, zum Verkauf an Zäunen und Bäumen aufgehängt, kehren sie über das Siegestor in harmlosere Bereiche zurück. Den ganzen Weg hat er geredet, sie zu unterhalten versucht. Jetzt fällt ihm nur noch die Wahrheit ein. Teilweise.
    »Babette, ich habe vorhin nicht telefoniert, wie ich sagte, ich sah Bekannte in der Nähe und wollte Gerede vermeiden. Ein junges Geschöpf wie Sie, mit einem bejahrten Mann — das wäre nicht gut für Ihren Ruf.«
    Babette begreift nicht gleich, muß die Kehrtwendung in seinem Gedankengang nachvollziehen.
    »Ach so meinen Sie das! Dabei wäre Gerede sehr schmeichelhaft für mich. Sie sind doch prominent. Kürzlich im Fernsehen... Außerdem sind Sie für mich nicht alt.«
    »Um ehrlich zu sein, Babette: Ich komme mir auch gar nicht so vor.«

    Sie saßen im säuerlichen Bräudunst, eingeräuchert, und lauschten den linken Aggressionen eines bärtigen Barden. Der las Gedichte, Ungereimtes in jeder Beziehung. Aber er meinte es bitterböse. Nach Babettes eigensinnigem Mund zu schließen, war sie enttäuscht. Vielleicht paßte es ihr nicht, daß die Jünglinge aus der Leopoldstraße nicht gekommen waren, vielleicht hatte sie sich unter Dichterlesung etwas anderes, Feierlicheres vorgestellt. Ihr Begleiter, erstmals im neuen Blazer, dachte eigennütziger, empfand den Abend als Ausflug aus der Endgültigkeit seines Kreises in ein gärendes, unmünchnerisches München, prickelnd, wie ein Bad in kohlensäurehaltigem Wasser. Babette schmollte. Auch Stephanie würde sich nicht anders verhalten, würde ebenso aufrecht dasitzen, wohlerzogen zwischen den fläzenden Altersgenossen in dunklen Hemden, Rollkragenpullovern und Leder, würde dazugehören, trotz augenfälliger Unterschiede, mitschmollen mit rührendem Ernst im großen Gruppenschmollen der

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