Ich liebe mich
Luftveränderung: aus dem säuerlichen Dunst in beißenden Geruch, der Nase und Auge attackiert, wie im Zoo in den Gehäusen der Großkatzen. Atemgedrosselt stand er vor der geteerten Wand, hielt sein Raubtierchen im Genick und ließ ihm geduldig den Lauf.
Stephanie hätte hier sein sollen — kein Schweißausbruch — Puls normal — noch gehört man nicht zum alten Eisen
Die Münchner Nacht war prospektreif: angestrahlte Baudenkmäler und Brunnen, Sternhimmel, Musik, Lachen von überall; auf den Trottoirs Tische und Stühle, Paare in leise dahinrollenden offenen Wagen, an den Fenstern verdunkelter Zimmer reifere Mitgenießer, ersatzweise das Haustier im Arm. Ein leichter Ostwind trägt vom Englischen Garten Parkluft in die steinernen Gräben. Und Babette schweigt. Reglos, die Unterarme parallel auf den Oberschenkeln, den Blick geradeaus gerichtet sitzt sie neben ihm. Einmal, als er sie fragte, ob sie noch etwas trinken wolle, hat sie den Kopf bewegt. Verneinend. Und noch einmal, auf seine Frage, ob es ihr ziehe. Es war gut, einen Wagen aus dem Werk mitzubringen; man ist unabhängiger. Liegt es an diesem Wagen? Babette schaut nicht nach den Cabriolets. Vielleicht denkt sie über seine Worte nach. Das ließe sich feststellen.
»Ehrlich gesagt, Babette, ich hatte mir nicht viel erwartet. Ich wollte mich überraschen lassen wie Sie auch. Aber dann haben sich die jungen Leute doch sehr verständig gezeigt. Finden Sie nicht? Ich hatte sie mir kritischer gedacht. Das heißt, wenn man richtig argumentiert... das richtige Wort am richtigen Platz... Sehr intelligent, diese Jungens. Und viel besser als ihr Ruf. Waren ausgesprochen respektvoll mir gegenüber. Finden Sie nicht?«
Er biegt ab. Babette muß merken, daß er einen Umweg macht. Sie sagt nichts. Er biegt noch einmal ab, fährt jetzt von ihrer Wohnung weg. Sie läßt es geschehen. Und hat immer noch keinen Durst, obwohl sie überall Menschen sieht, die Durst haben, vergnügt zusammensitzen. Er öffnet den Blazer, um Falten zu vermeiden. Vielleicht steigt man doch noch aus, irgendwo.
»Babette.«
»Ja.«
»Bedrückt Sie etwas? Sie sind so still.«
»Entschuldigung. «
»Hat es Ihnen nicht gefallen? Es war doch Ihr Wunsch.«
»Es war sehr schön. Vielen Dank.«
»Irgend etwas ist mit Ihnen vorgegangen, hat Sie verändert.«
»Ich rechne. Entschuldigen Sie.«
»Haben Sie auch Mathematik auf der Dolmetscherschule?«
»Wieso?«
»Vor dem Schlafengehen soll man nicht rechnen!«
»Ich stelle nur fest, wie hoch meine Schulden bei Ihnen sind.«
»Aber Babette! Wenn Sie sich so dumme Gedanken machen, werd ich ernstlich böse.«
»Ich hab nicht gern Schulden.«
»Was soll das?«
»Ich hätte eine Gelegenheit, Ihnen alles zurückzuzahlen. Wenn’s klappt bis Ende nächster Woche.«
»Wenn was klappt?«
»Man hat mir eine Filmrolle angeboten.«
»Im Ernst? Das ist ja wie in einem Illustriertenroman!«
Sie antwortet nicht.
»Wer hat Ihnen die Rolle angeboten?«
»Heute. Beim Mittagessen. Ein Mädchen aus der Schule hat einen Filmmann mit an den Tisch gebracht.«
»Wieso denn das?«
»Sie kennt ihn.«
»Und?«
»Er sah mich und war begeistert.«
»Aber Babette, Sie haben doch keinerlei schauspielerische Erfahrung.«
»Er sagt, das hätten die andern auch nicht. Ich müßte nur dekorativ sein. Ein netter Mann. Auch nicht mehr jung. Morgen abend will er mit mir essen und anschließend den Vertrag machen.«
Er verlängert den Umweg.
»Das sagen Sie mir jetzt erst!«
»Wieso?«
»Man weiß doch, was diese Herrn im Sinn haben!«
»Er war ausgesprochen seriös. Und sehr kultiviert. Er sagte, er habe eine bemerkenswerte Sammlung afrikanischer Skulpturen, die er mir zeigen möchte.«
»Ich finde das unmöglich.«
Babette schmollt.
»Ich hätte den Mund halten sollen, die Rolle spielen und meine Schulden bezahlen.«
Er greift nach ihrer Hand, warnt die Arglose mit jugendgeeigneten Formulierungen, fährt sie nach Hause.
»Morgen sprechen wir über alles. Abgemacht? Bis dahin versprechen Sie mir, daß Sie nichts unternehmen. Vor allem nichts unterschreiben.«
Babette steigt aus, tritt vor den Scheinwerfer, um in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel zu suchen. Leichthin sagt sie:
»Abgemacht. Gute Nacht.«
Seine Frau übersah den Blazer, wie sie den Trachtenanzug und den Lodenmantel übersehen hatte. Sie war ihm dankbar für die Ruhe, die er ihr ließ, gleichbleibend freundlich ohne Akzente. Stephanie ließ ihm nicht die Ruhe, für die er ihr
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