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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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sie sagt, nur um ihm zu beweisen, daß sie ganz einfach filmen muß, folgt, während sie modische Details beschreibt, ihren Linien, bis auch er ihnen folgt, sie sich vorstellt in Samt, Seide, mit Pelz und ohne, dabei ihre Bewegungen bewundernd, samt allen Einzelheiten. Er sieht an, was sie ihm zeigt, sieht ein, was sie ihm sagt, plastischer hat er nie etwas begriffen. Ihm wird klar, daß sein Verantwortungsgefühl ausreichen würde, um dieses Mädchen auch bei weit größerem Kostenaufwand auf dem rechten Weg zu halten. Er fühlt, daß er hinter sich steht, entschlossen, springt auf, kraftvoll, hört sich Nein! Nein! Nein! rufen, die Wirtin kommt wieder herein und erklärt, sie begebe sich nunmehr in die Stadt. Die Störung erweist sich als nützlich. Er setzt sich wieder, spricht ruhig und väterlich seine Bitte aus: die Entscheidung um drei Monate zu verschieben, wofür er sich verpflichten würde, alles Erforderliche zu beschaffen. Seine Worte haben Gewicht, das fühlt er, sind von echter Sorge und Wohlmeinen getragen. Aber Babettes Augen blitzen. »Wo denken Sie hin! Ich kann mich von Ihnen doch nicht aushalten lassen!«
    »Babette, bitte! Dieses Wort ist unter Ihrer Würde! Sie schenken mir drei Monate, die ich verlangen muß, um Sie vor Unüberlegtheiten zu bewahren, und als Gegenleistung bekommen Sie alles, was Sie brauchen. Das hat mit Aushalten überhaupt nichts zu tun, das ist ein ganz reelles Geschäft.«
    »Geschäft?« begehrt sie auf. Dieses Wort möchte sie nicht gehört haben. Sie lasse keine Geschäfte mit sich machen. Diese Jugend reagiert unberechenbar, stellt den gewiegtesten Verhandler vor immer neue Situationen. Er lacht sie an, zwinkert ihr zu.
    »Babette! Ich will Ihnen nur Ihr Schuldgefühl nehmen. Merken Sie das nicht?«
    Sie will es nicht merken, steht aufrecht, ernst, wie der Jugendstilengel auf dem Farbdruck über ihrem hohen Bett. Er läuft durchs Zimmer, gestikuliert, als gelte es ein Moderato einzuleiten. Was er jetzt auch sagen mag, es kann nur falsch sein. Da kommt sie ihm zu Hilfe.
    »Seien Sie doch ehrlich! Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie wollen mit mir schlafen, oder Sie lieben mich. Im ersten Fall kann meine Antwort nur Nein sein. Im zweiten würde ich mir Bedenkzeit ausbitten, um mich zu prüfen. Immerhin haben Sie Familie.«
    Reglos steht der ältere Herr im Blazer vor ihr, unfähig etwas zu sagen, etwas zu tun, während sein Organismus einem Ameisenhaufen gleicht. Sein Unterbewußtsein scheint überzukochen, gleichzeitig fühlt er heiß und kalt, Schmerz und Wonne, ein neuer Zustand, oder sehr alt, nur vergessen, alles ist in Aufruhr, wie nach den ersten massiven Eindrücken in der Kindheit. Was er jetzt tut, geschieht motorisch.
    Babette Kleines — ich hab’s geahnt — ich hab’s gewußt — was würde der Doktor sagen — Mutterüberwindung — Vaterüberwindung — Tochterüberwindung — Todesüberwindung — ablenken sonst gehts zu schnell — ritardando — die kleine Drehung — hilfreiche Psychologie — du Himmelsgeschöpf — Engel reiner — ach die Sitzung — schaff ich schaff ich alles — Gotteskind — begnadet — bimmle nur Telefon alberner Jüngling hier hat sichs ausge — dieser Mund dieser Mund — wir brauchen unbedingt ein anderes Bett — о Gott — ich möcht was Ordinäres sagen — ich möchte
    Babette treibt ihre Nägel in seinen Rücken, flüstert in sein nasses Ohr:
    »Sag was Ordinäres, was ganz Ordinäres! Sag, schnell, sag...«

    Wenn Männer sich der Geschäfte wegen verstehen müssen, trinken ihre Frauen miteinander Tee. Für seine Frau waren das verlorene Nachmittage, vergeudet an die paranoiden Sorgen kinderloser Hundebesitzerinnen, vertan mit Problemen aus Überfluß und Unterentwicklung: Hüte, Feste, Autos, Pelze, Häuser, Schmuck, Reisen, Versteigerungen und Männer. Allein die Angst wirkte gelegentlich vertiefend, das Nicht-alt-werden-Können zwang die von Trockenhauben ausgeblasenen Hirne zu philosophischer Hausfrauengymnastik, zu Rumpfbeugen zwischen Sein und Nichtsein, bis sie, nach kurzen Verrenkungen ihrer Gewohnheit folgend, die Angelegenheit zur weiteren Bearbeitung aus der Hand gaben.
    Eine der Damen wußte von verblüffenden Erfolgen einer aus Jugoslawien gebürtigen Pendlerin zu berichten — Okkultes aus dem Osten wirkt doppelt verläßlich — und sie hatte die Adresse. Eine andere benannte den neuesten, von der Gesellschaft noch nicht ausgelaugten Astrologen, ungemein vertrauenerweckend, eben ein Mann

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