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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Zeit?«
    Babette paßt es. Geborgenheit ist wichtiger als englische Grammatik. Dem Chef paßt es nicht, er muß umdisponieren, einen unaufschiebbaren Termin vorverlegen, wodurch er nicht zum Reiten kommt und dem Doktor absagen muß. Er fühlt sich wohl zur Zeit, ein bißchen Ohrdruck, aber in Grenzen. Auf der Fahrt zu Babette denkt er über das Leben nach.
    Gebraucht werden — einem jungen Menschen helfen können — Golo ist ein unwendiger Mann — so ein reizendes Mädchen
    Ein Taxi hat sie zum Englischen Garten gebracht. Er wollte seinen Trachtenanzug anziehen. Aber es ist zu heiß.
    »Geben Sie mir Ihren Arm! Und jetzt wollen wir einmal nicht an die Zukunft denken! Wissen Sie, Babette, das Leben muß nicht unbedingt einen Sinn haben, aber Spaß soll es wenigstens machen. Freuen Sie sich, daß Sie gesund sind, atmen Sie tief und genießen Sie. Jetzt lächeln Sie! Das gefällt mir. Ich unterhalte mich gern mit Ihnen. Offenheit ist für mich reine Erholung. Ich bin doch den ganzen Tag von Kriechern umgeben — Sie wissen ja. Wir beide in Gottes freier Natur. Ist das nicht besser so? Die Sonne scheint, das Wetter ist schön, Babette möchte spazierengeh’n! Ja, lächeln Sie! Das gefällt mir. Sie kennen München noch nicht. München, die großzügige, die tolerante Stadt, wo jeder tun und lassen kann, was er will. Dinge, die anderswo schockieren würden — hier sind sie selbstverständlich, niemand denkt sich etwas dabei. Das macht das Hinterland, das Urwüchsige. Die Menschen sind noch geerdet.«
    »Seien Sie mir nicht böse«, sagt Babette ernst, »an sich mag ich die bayerische Art nicht sonderlich.«
    »Da gebe ich Ihnen völlig recht, mein Kind. Die echten Bayern sind ein sehr unzugängliches Volk. Den Charme haben wir importiert, die Zugereisten. Ich meinte die Stadt! Für die Stadt ist eine gewisse Verankerung im Volkstümlichen ein Gewinn. Wobei man gerade das Volkstümliche nicht nachahmen soll. Nur von seiner Kraft profitieren.«
    »Ich liebe mehr das Verhaltene«, sagt Babette.
    Er bleibt stehen.
    »Das hab ich sofort gesehen! Schon der Schnitt Ihres Gesichts, die schmalen Hände — Sie könnten Französin sein.«
    »Meine Mutter lebt in Arcachon.«
    »Na bitte!«
    »Sie ist mit einem Franzosen verheiratet.«
    Sie gehen weiter.
    »Ihr Mann ist aber nicht mein Vater. Sie war dreimal verheiratet. Meinen Vater hab ich nicht gekannt. Er ist gefallen. An der Elbe.«
    »Trotzdem. Etwas muß da im Blut sein. Ein Gesicht wie das Ihre würde ich aus hunderttausend herausfinden. Sie haben dieses gewisse Je-ne-sais-pas-quoi.«
    »Finden Sie?«
    »Ach Gott, Kind. Ich bin ja schon einige Zeit auf dieser Welt, habe viel gesehen, manchen Strauß gefochten, manches Schöne, aber auch manche Enttäuschung erlebt. Ja, Enttäuschungen vor allem... Sie hören mir ja gar nicht zu.«
    »Doch doch. Entschuldigen Sie.«
    Seine Augen, die so viel gesehen haben, forschen in ihrem Je-ne-sais-pas-quoi.
    »Bedrückt Sie etwas?«
    Kopfschütteln. Er drückt ihre Hand. Sie hält den Kopf gesenkt, scheint zu lächeln.
    »Ich hab so Hunger.«
    Er schaut verwundert, bekundet aber Mitgefühl. Gleich sei man am Chinesischen Turm. Dort gebe es ein Restaurant. Babette will nicht zum Chinesischen Turm. Sie möchte zur Leopoldstraße. Er ändert die Richtung, strahlt weit über seine Laune. Natürlich, sie ist jung, sucht Leben, Trubel, nicht Gesundheitsmarsch mit Stehenbleiben und Tiefatmen. »Wie schön!« begrüßt sie den gleißenden Boulevard. Sie schlängeln sich zwischen Flanierenden, das Gespräch schrumpft auf knappe, von Motorlärm zerhackte Zurufe. Besonders dort, wo Gastronomie mit Tischen und Stühlen die großzügigen Trottoirs zu Flaschenhälsen verengt. Sie müssen hintereinander gehen, Fremde schieben sich dazwischen, er atmet beiseite, sucht Babettes vorauseilenden Schopf, hört ihren Zuruf: »Hier wird was frei!«
    In der Auspuffwolke eines vom Straßenrand steil in den Verkehrsstrom startenden Boliden voller Jugend hat sich ein Paar erhoben und löst damit einen Sternmarsch zu den beiden Stühlen aus. Er sieht, daß es zwecklos ist. Babette wählt die Luftlinie über Handtaschen, Pudel, ausgestreckte Männerbeine — und siegt. Er folgt über die breitere Passantenschleuse durch schnell wechselnde Gerüchezonen: Schweiß, Rauch, Benzin, Parfüm niedriger Oktanzahl. Er will sich gerade setzen, als er drei Tische weiter Brockhoffs entdeckt. Verständigung Babettes, sie solle schon bestellen, und verjüngt, wie im Traum,

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