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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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angerufen, ihm als erstem die Nachricht überbracht.
    Herkules, der liebe Kerl, den er übersehen, um den er sich nicht mehr gekümmert hat, jetzt vermißt er ihn, sieht ihn vor sich, schwanzwedelnd um einen Blick betteln, um ein Tätscheln, wenn er morgens zum Frühstück kam.
    Nichts kommt von ungefähr. Herkules, das war Trost in mancher Nacht, beispielhafte Ergebenheit ins Dasein, wenn Herrchen die Angst überkam, Herkules, der stumme Begleiter seiner Krise, Zeuge seines Ausbruchs beim Doktor, die Echowand, der er anvertrauen konnte, was niemand erfahren durfte. Und Herkules als abstrakte, psychologische Kreatur: das kleine Hündchen an der Leine, die vierbeinige Galionsfigur der Selbstverwirklichung, bürgerliches Gewissen, verniedlichter Trieb.
    Herkules hatte viele Funktionen. Welche hat sein Tod? Warum hat Stephanie ihn in die Stadt mitgenommen, was sie sonst nie tat? Wieso wurde er ausgerechnet von einem Wagen Schröders überfahren? Warum hat Stephanie ihn sofort angerufen? Es wäre aufschlußreich, mit dem Doktor über dieses Thema zu sprechen. Aber wann? Nach der Demütigung hat er sich vorgenommen, Babette nicht mehr zu sehen. Aber er hält es nicht aus, nimmt sich mehr Zeit für sie, als er verantworten kann. Unruhe und schlechtes Gewissen sind seine Begleiter, quälen ihn im Werk mit Babette, bei ihr mit dem Werk. Paul fällt ihm ein, der seinen Betrieb verschenkt hat und das Leben genießt. Manchmal möchte er die Firma in die Luft jagen, um endlich an sich denken zu können. Seine Frau sagt ihm, er sehe schlecht aus, solle doch bitte zum Arzt gehen. Aber es ist nicht Sorge, was er aus ihren Worten herauszuhören glaubt, sondern Meran, den großartigen Paul, das Häuschen bei Eppan oder Kaltem. Jetzt stationär im Bett gehalten zu werden, wäre sein Tod. Da ist die Unruhe noch besser. Noch geht es. Auf Hilde ist Verlaß. Sie sorgt für Fassade, klagt nicht, mahnt nicht, Hilde hält zu ihm und was irgend geht von ihm fern.
    »Macht nichts, Herr Direktor. Nicht gebraucht werden ist schlimmer.«
    Sie spricht ihm aus der Seele. Ihre Worte ermuntern ihn, nicht aufzugeben. Er stiehlt sich davon, während Hilde Umdispositionen umdisponiert, er kauft ein Modellkleid. Babettes dankbare Zärtlichkeit, wie damals, als er ihr die Wohnung einrichtete, bleibt aus. Sie findet das Kleid »madamig«. Schon hat er die nächste Überraschung bereit: Er wird ihr beweisen, daß er zu ihr steht, wird sich nicht mehr verstecken, ist bereit sie auszuführen, in jedes Lokal. Aber sie trotzt wie ein Kind, will nicht in einem »Protzlokal« als Verhältnis eines verlogenen Bürgers unter verlogenen Bürgern sitzen. Er glaubt sie zu verstehen: Er hätte nicht in Urlaub fahren sollen. Sie trotzt aus Eifersucht. Vor Rührung kommt ihm ein neuer Einfall. Telefonisch bestellt er eine Kiste seltenen Whiskys, eine Sorte, die Babette einmal erwähnt hat, vor der Caprireise. Aber die erwartete Freude bleibt aus. Babette mag keinen Whisky mehr. Schon gar nicht von dieser seltenen Sorte.
    »Dieser alberne Markensnobismus!« schimpft sie. »Man trinkt nur dieses, man trägt nur das, man fährt nur jenes...«
    Als sie die ihr lästige Kiste vor die Tür stellen will, spielt er auf den Wert an. Höhnisch kommt die Antwort:
    »Na und? Ich denke Geld spielt keine Rolle.«
    Er geht.
    Auf der Toilette in seinem Badezimmer gelingt ihm die kleine Drehung. Da die Verrichtung beunruhigend lange dauert, denkt er an Babette. Was hat sie so aufsässig gemacht? Ihre Einwände rekapitulierend: madamiges Kleid, Protzlokale, Markensnobismus, Geld spielt keine Rolle — wird er stutzig. Das sind nicht ihre Worte. Dahinter steckt jemand.
    Nachts kommt der große Hund, der mehr einem Wolf ähnelt, der Höllenhund aus dem Traum sitzt auf der Bettdecke. Auch der Mann im Kamelhaarmantel ist dabei. Sie rufen Onkelchen und drücken ihm die Kehle zu. Zu Tode geängstigt, fährt er hoch, macht Licht, das Herz hämmert in den Schläfen, wenn er den Hörer ans Ohr hält und ihre Nummer wählt. Ein Aufatmen, wenn sie ihn beschimpft, weil er sie aus dem Schlaf gerissen hat. Glück, sie zu Hause zu wissen. Manchmal weiß er nicht, ob sie den Hörer ausgehängt hat oder stundenlang telefoniert. Dann sind alle Leiden da und das neue dazu, dann läuft er auf und ab, trinkt, ruft an, fühlt Puls, läuft, trinkt, ruft an, vergeblich, vergeblich. Bis Alkohol und Übermüdung ihn fällen. Schweißüberströmt fährt er hoch, aus Angstträumen erwacht, läuft ins Bad, kühlt die

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