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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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    »Wo kann ich telefonieren?« fragte der Freund.

    Alois hatte ihn nach Hause gebracht. Seine Frau war dort geblieben; seine Entschuldigung, er müsse sich bei einer Diskussion sehen lassen, war mit Bedauern, aber verständnisvoll aufgenommen worden. Er hatte sich nicht umgezogen, nur den Wagen gewechselt. Und noch einmal angerufen. Jetzt rollt er durch Schwabing, hält vor Lokalen, sucht ihren Wagen, fährt weiter, langsam, wie viele, Suchende gleich ihm, in leisen Amerikanern, lauten Kontinentalen, kleines Licht, die Antennen ausgefahren auf optimalen Empfang. Weibliches in geschlossenen Cabriolets kommt auf, verweilt auf gleicher Höhe, um herüber zu lächeln. Viele Nummern von auswärts. Wagen halten unvermittelt, Fahrer beugen sich zur Seite, die rechte Tür zu öffnen. Zu Fuß sucht er weiter im Neonschimmer englischer Nachtclubnamen. Darüber Bürgerschlaf hinter geschlossenen Fenstern.
    Da steht ihr Wagen. Das ist die Nummer.
    Enges, berstendes Lokal, dunkler als draußen. Was auf der Straße Diesel — ist hier Tabakqualm, dem Zweitakterausstoß entspricht das Gemisch Parfum-Schweiß.
    Umsonst hat er zehn Minuten vor der Damentoilette gewartet. Sie war nicht in dem Lokal. Vor Babettes Haus wartet er noch sehr viel länger. Wenigstens ist die Luft hier besser. Zweimal muß er in den Hof, dreimal geht er hinauf, trinkt Whisky, um sich aufzuwärmen. Als der Tag anbricht, fährt er nach Hause.
    Noch lange hört ihn seine Frau auf und ab gehen, husten, Telefonnummern wählen.
    In ihrem Tagebuch steht:
    Ich kann nicht kämpfen, kann ihm nicht einmal Schuld geben, ich kann nur noch Mitleid mit ihm haben. Er glaubt sicher, mich zu betrügen. Warum ist eine Frau in meinem Alter so schwerfällig? Golo macht mir Sorgen. Jetzt brauchte er seinen Vater. Die Kinder merken allmählich, wie es um uns steht. Paul rief an. Er ruft immer im richtigen Moment an. Was er sagt, hat Hand und Fuß. Oder bin ich nur allzu bereit, das zu denken? Jedenfalls ist es besser, sich selber wirkungsvoll zu betrügen als andere. Ich möchte weg von hier...

    Im Werk fehlt Hilde. Sie sei krank, heißt es. Das geht jetzt nicht. Er macht einen Krankenbesuch. Ordentlich ist es in der kleinen Wohnung am Stadtrand, zwar Flugzeuglärm, aber keine störenden Gerüche. In der Diele steht Töchterchen Monikas Roller. Die Nachbarin hat den Besucher hereingelassen. Hilde liegt angezogen in ihrem Wohnzimmerchen auf dem Sofa, gerührt über sein Kommen und die Flasche Portwein, die Alois hatte besorgen müssen.
    Hilde nimmt seine Aufmerksamkeit als Kompliment. Sie weiß, wie ungeschickt er damit ist: Geschenke zu allen Anlässen besorgt seit Jahren sie. Sogar nach dem Arzt fragt er. Ob sie einen Spezialisten brauche. Der Arzt war da. Zehn Tage soll sie sich schonen. Unbedingt. Aber sie hofft schon in acht wieder fit zu sein.
    Der Chef lächelt mild.
    »Gut und schön«, sagt er. »Medizinisch mag das alles richtig sein. Bei uns Menschen in der Industrie aber ist immer auch die Psyche im Spiel. Ich wollte das lange nicht glauben. Aber es ist so. Nun stelle ich mir vor: Sie zehn Tage hier allein! Ohne Fieber, ohne Schmerzen, ohne eine Wunde, die Sie hindert, sich zu bewegen. Hildchen, Hildchen, ich fürchte, da drehen Sie mir durch. Bei Ihrem Pflichtgefühl! Es war zuviel in letzter Zeit. Das wissen wir beide. Was Ihnen fehlt, ist eine Abwechslung, etwas Unerwartetes, das Sie freut. Wann haben Sie Geburtstag?«
    Sie nannte ihm das Datum. Es lag fast ebenso lang zurück wie voraus. Er blieb vor ihr stehen.
    »Wissen Sie, was wir machen, Hildchen: Wir feiern ihn einfach heute. Jetzt. Hier. Sofort. Schon lange möchte ich Ihnen eine ganz außerplanmäßige Freude machen, etwas, das Sie immer erinnert, wie sehr ich Ihnen dankbar bin, für Ihre Hilfe, Ihren einfach sträflichen persönlichen Einsatz in all den Jahren.«
    Nie waren ihr die Hände des Chefs so nahe.
    »Aber Herr Direktor.«
    Er lächelt gütig. Keinen besseren Platz hätte er finden können, sagt er: Für die Perlenkette.
    »An Ihnen ist ein Arzt verlorengegangen!« sagte sie, die Seelenmedizin um den Hals, anderntags im Büro.
    Auf Hilde war Verlaß.

    Der Chef hat ein schlechtes Gewissen. Er läßt Besprechungen absagen, erledigt nahezu alles fernmündlich. Auch den Doktor hat er angerufen, sich entschuldigt: Überlastung, er werde sich wieder melden. Er weiß, daß ihm ein Gespräch in der Praxis nützen könnte. Wahrscheinlich bedarf es nur einer Kleinigkeit, einer Drehung in der

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