Ich liebe mich
Vergebens stellte er sich vor; sie gab ihn weiter. Jemand schien ihn zu kennen, vom Hörensagen, bis sich herausstellte, daß man ihn verwechselte. Er sagte, wer er sei, was er tue, erwähnte, um seinen Gesprächspartnern die Identifizierung zu erleichtern, das Fernsehgespräch mit dem Ministerpräsidenten, aber die Leute sagten, sie sähen nicht fern. Einer konnte sich an Schlagzeilen erinnern, die er gemacht hatte, während andere sich über ihn wunderten: Soso, offenbar gebe es in München mehr Industrie, als man gedacht habe. Aber sowas müsse wohl auch sein.
Seine Verkrampfung löst sich, er fühlt sich wohl in der Zwanglosigkeit. Die Leute sind witzig, gute Köpfe, jeden Alters und wohin er horcht: überall Themen. Was für ein Unterschied zu den üblichen Parties! Er muß an seine Frau denken. Hier würde es ihr gefallen.
Wo ist Babsi?
Sie steht bei einem jungen Mann mit kurzem Haarschnitt und randloser Brille. Ein Mädchen tritt zu den beiden. Ihre Fröhlichkeit scheint zu stören, Babette deutet in seine Richtung, das Mädchen dreht sich um.
»Papi!«
Der Vater erschrickt. Aber er freut sich.
»Ich wollte mal sehen, in welchen Kreisen sich meine Tochter bewegt.«
»Woher wußtest du, daß ich mich heute hier bewege?«
Die besten Lügen liegen dicht neben der Wahrheit:
»Von deiner Mitschülerin Babette. Ich sah sie mit einem jungen Mann in einem Restaurant. Und sie haben mich mitgenommen.«
Die Tochter scheint zufrieden, nimmt ihren Vater am Arm zu einem Rundgang, erschließt ihm den Kreis im Telegrammstil:
»Du kannst beruhigt sein, Papi. Alle verrückt, aber nett. Die mit der Nase ist Malerin und Baronin, säuft erstaunlich, war mal zwei Monate mit einem Prinzen verheiratet, geschieden, läßt sich aber nach wie vor mit Durchlaucht anreden — links der Weißhaarige mit den O-Beinen — die sieht man jetzt nicht — Komponist, Zwölftöner, stock-schwul — rechts der Schmale, an sich Schlagersänger, jetzt ausgehaltenes Komponistenflittchen...«
»Stephanie, wenn uns jemand hört!«
»Da sorg dich nicht, Papi. Er nennt sich selber so. Der Blonde in der Ecke ist Kolumnist, schläft mit der dünnen Roten; der Kahle mit der Brille neben dir ist ihr Mann, berufsmäßiger Ostermarschierer. Beide leben an sich von der Molligen, die sich gerade kratzt, sehr gute Familie, mit dem Bildhauer verheiratet, der mit der Zigarre, das heißt, offiziell ist sie ja mit einem Schriftsteller liiert, der heut nicht da ist, nur seine Frau, die mit den großen Händen neben der Molligen, böse Zungen behaupten zwar mehr mit ihr, man weiß es nicht, ist ja gar nicht so interessant, nur damit du ein bißchen Bescheid weißt...«
Als Vater, findet er, müßte er etwas sagen. Er sagt nichts, hält seine Tochter an der Schulter. Ein breitschultriger Mann mit grauem Stiftenkopf und rötlichblondem Schnurrbart bringt zu trinken.
Stephanie ist weg.
Gespräche durcheinander: ein Kritiker zerpflückt eine Aufführung, ein Schriftsteller erklärt, Schreiben sei die schönste Strafe. Da ist Stephanie bei dem Grauen; Babette immer noch bei dem jungen Mann mit dem kurzen Haarschnitt und der randlosen Brille.
Der könnte mein Sohn sein — daher kommt der Einfluß nicht — der Graue bei Stephanie mißfällt mir — jetzt geht das wieder los — und das Bad ist Garderobe — muß zum Arzt ich muß — in wie viele Höfe pinkle ich noch in meinem Leben — ach ja — netter Kreis — kein Aufwand — was diese Leute Zeit sparen — da sind wir Bürger wie dressierte Tiere — der Graue ist ein unangenehmer Typ
Es hat sich gelichtet, als er zurückkommt. Einige tanzen. Auch Stephanie mit dem Grauen. Der sei Frauenarzt, sagt jemand. Degoutant, wie dieser betagte Bursche seine Tochter hält. Daß der sich nicht geniert. Als Frauenarzt! Auch Babette tanzt. Der junge Mann mit dem kurzen Haarschnitt und der randlosen Brille macht einen guten Eindruck. Es findet sich eine Sitzgelegenheit. Jemand spricht. Wahrscheinlich die Dame in Hosen. Der Frauenarzt, vernimmt das Vaterohr, sei sehr gut verheiratet, nehme Stephanies Schwärmerei nur als Vitamin für seine Eitelkeit. Wie Männer eben seien.
Jetzt küßt Babette den jungen Mann mit dem kurzen Haarschnitt und der randlosen Brille. Ziemlich hemmungslos findet er. Gerade machten sie noch einen so guten Eindruck.
Die Situation ihrer eigenen Ehe sei noch nicht beschrieben, fährt die Stimme neben ihm fort. Aber beschreibenswert:
Sie habe das Geld. Ihr Mann, Schriftsteller und Lektor,
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