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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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dachte an dich, Liebes. Die Leute hätten dir gefallen. Woher weißt du überhaupt...?«
    Es stellt sich heraus, daß die Welt nur deshalb so klein erscheint, weil die Leute so viel reden.
    Ein Bekannter von Paul war auf der Party gewesen, hatte aus irgendeinem Grunde nachts noch mit ihm telefoniert und erzählt. Und Paul hatte in aller Frühe schon angerufen und erzählt...
    »Dieser Paul scheint Funktionen in unserer Familie zu übernehmen!« sagte Golo, der die ganze Zeit unbeachtet dabeigesessen hatte. Im Werk fiel dem Vater die Bemerkung wieder ein.
    Dieser Paul wird aufdringlich — was findet sie nur an ihm — er sei so musisch — das bin ich auch — aber bei mir bemerkt sie’s nicht — ich hab auch noch das Werk — und nicht so viel Zeit

    Babette meldet sich verschlafen. Ihm ist, als höre er im Hintergrund eine männliche Stimme. Es mag Einbildung sein. Ohne Kommentar bedankt er sich für den Abend, versucht sich kühl und sachlich auszudrücken und hat Erfolg damit: Er darf sie besuchen.
    Am Abend, erklärt Babette, habe sie zu tun. Ihr Ton ist so förmlich, daß seine Höflichkeitsfrage, ob er ihr dabei in irgendeiner Form behilflich sein könne, völlig natürlich klingt. Sie stellt es ihm frei, leichthin, als sei sein Angebot weder eine Freude noch lästig. Nach dem Abendessen kommt er. Langsames, gleichsam stolperndes Schreibmaschinengeklapper empfängt ihn, mit sehr unterschiedlichen Intervallen zwischen den Anschlägen. Babette trägt Hosen, das Haar offen. Sie sieht aus wie ein Kind, nickt ihm zu, läßt sich nicht stören. Er holt sich etwas zu trinken, um nicht herumzusitzen, sitzt mit Glas herum, will nicht stören und fühlt, daß er stört. Also fragt er:
    »Darf ich dich mal stören?«
    Keine Antwort.
    »Viel Arbeit?«
    Sie nickt.
    »Schule?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Etwas anderes?«
    Sie nickt.
    »Korrespondenz?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Ich wußte gar nicht, daß du mit vier Fingern tippen kannst.«
    Ihr Blick besagt, daß sie nicht zu scherzen wünscht. Die erste Gesprächsrunde ist beendet.
    Was könnte ihm nur einfallen? Für derlei Spiele ist er zu alt. Wie kommt er eigentlich dazu!
    »Darf ich ein bißchen Musik machen?«
    Sie nickt. Er schaltet das Radio ein: Operettenpotpourri, beschwingter Sopran, verhaltene Bläser, unmäßig viele Geigen, Vertrautes für Vertraute. Der Abend könnte so beschaulich sein. Aber da ist wieder dieser Drang. Und ein Anflug von Zahnweh. Oben links. Er muß hinaus. Ende der zweiten Gesprächsrunde.
    Das Klappern nebenan hat beschleunigende Wirkung. Vielleicht kommt es ihm auch nur so vor, weil er sich Zeit läßt. Ihr Eifer rührt ihn. Aber warum arbeitet sie? Sie muß nicht verdienen. Seine Bank überweist pünktlich auf ihr Konto, diskret und mehr als ausreichend. Überraschend ihre Stimme durch die angelehnte Tür:
    »Schreibt man Lombardverkehr mit deetee?«
    »Ohne.«
    Er hat seine Verrichtung beendet. Ihre Frage gibt neuen Gesprächsstoff.
    »Seit wann befaßt du dich mit Bankproblemen?«
    »Ich schreibe eine Doktorarbeit ab. Sagte ich das nicht?«
    Er hat keine Fragen mehr. Der junge Mann mit dem kurzen Haarschnitt und der randlosen Brille studiert also Volkswirtschaft. Wider Erwarten hat die Vorstellung etwas Beruhigendes. Er setzt sich und schaltet das Potpourri aus. »Danke«, sagt Babette und lächelt zum ersten Mal. Die Musik hat sie gestört, aber sie hat ihn gewähren lassen. Das befeuert ihn.
    »Entschuldige, Kleines. Und sag es, wenn ich dir irgendwie helfen kann. Ich schick dir gern eine Schreibkraft. Oder wir geben die Arbeit in ein Schreibbüro. Ich seh doch, wie du dich plagst!«
    Babette tippt weiter. Um zu lernen, sagt sie. Gegen Diktieren hätte sie jedoch nichts einzuwenden. Er nimmt das Manuskript. Und wenn es drei Doktorarbeiten wären, von den zähesten Nebenbuhlern verfaßt, er würde sie ihr diktieren. Nächtelang. Es dauert eine Weile, bis er seinen Eifer auf ihre Fingerfertigkeit gedrosselt hat, dann aber perlt es von seinen Lippen, nimmermüde und dankbar dem neuen Favoriten, der ihm mit sauberer Geistesarbeit zu dieser tätigen Zweisamkeit verhilft. Als Babette die Hände von den Tasten nimmt, ist Mitternacht längst vorbei.
    »Schluß jetzt. Ich kann nicht mehr. Ich muß schlafen. Vielen Dank übrigens.«

    Hildes Perlenkette glänzte. Hilde war glücklich. Der Chef demonstrierte dynamischen Führungsstil wie in seinen besten Zeiten. Nichts war ihm zu viel, keine Unvorhergesehenheit erregte ihn, für alles

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