Ich liebe mich
ebensogut hoffnungslos verrennen.
Stephanie widerspricht nicht mehr. Er kommt zum entscheidenden Punkt.
»Nehmen wir dich, Kind. Du warst enttäuscht und hast in deiner Verletztheit meinen väterlichen Trost mißverstanden, hast mit Zärtlichkeiten geantwortet, nach denen du dich sehntest, weil du An meinem Arm an ihn dachtest! Ich ließ dich gewähren, weil ich dir helfen wollte. Du hast gesehen, wohin das führen kann. Eine Verirrung, mein Kleines, aus der du lernen sollst, nie leichtfertig über einen Suchenden zu richten. Jeder Mensch sucht. Das ist sein gutes Recht. Und seine Natur. Und wenn er dabei irrt, darf niemand sich anmaßen, den Stab über ihn zu brechen.«
Vor der Haustür nimmt er Stephanie behutsam bei den Oberarmen und küßt sie auf die Stirn.
»Behalte die Erfahrung und vergiß den Anlaß.«
Wieder fühlt er ihre Hand im Nacken, die Lippen an seinem Ohr.
»Ach Papilein, es war doch so schön!«
So gut hatte er schon lange nicht mehr geschlafen. Durchgeschlafen, ohne Beschwerden, ohne aufzuwachen. Trotz des konfusen Traums. Irgend etwas mit einer Sperre, mit einem Bahnhof, dem Münchner Hauptbahnhof. Stephanie fährt mit dem Zug weg. Für immer. Er will sie noch einmal sehen und geht zur Bahn. Sie ist schon im Zug, steht an der offenen Tür des letzten Wagens. Drinnen im Wagen tanzen junge Leute. Babette ist auch dabei. Er drängt sich durch die Menschen, will Stephanie in seine Arme nehmen, bevor ein Mann auf sie aufmerksam wird. Aber da ist die Sperre. Man hält ihn zurück, er hat keine Karte. Ich bin der Vater, schreit er, ich bin der Vater! Reißt sich los, stürmt zum Zug. Der Schalterbeamte holt ihn ein. Der Schalterbeamte ist der Erzbischof. Vor ihnen, wo der Bahnsteig war, ist jetzt ein Abgrund. Stephanie, auf der anderen Seite, springt hinein. Er kann nicht springen. Es sticht im Unterleib. Sein Leiden hat ihn geweckt.
Nach dem besorgniserregenden Geduldspiel nahm er ein Bad. Für gewöhnlich duschte er morgens. Heute aber hatte er das Bedürfnis, sich ins warme Wasser zu legen; man mußte auch mal an sich denken. Er dachte an sich, assoziierte über Wannenlage die Couchlage auf dem weißen Frotteetuch mit der grünen Klammer. Würde der Doktor mit diesem Traum etwas anfangen können? Erzbischof als Schalterbeamter — das war doch reichlich absurd. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er nie von einer Führungskraft der Kirche geträumt. Er wusch die Gedanken fort: Träume geben keine verläßlichen Auskünfte. Der Doktor wäre anderer Meinung gewesen.
Sie lieben Ihre Tochter! Als Vater wissen Sie, daß daraus keine Verbindung werden kann. Ihre Tochter muß wegfahren. Ins Leben. Im Wagen ihres Jahrgangs, in dem auch Babette ist, zu der Sie sich indifferent verhalten. Sie sehen nur Ihre Tochter. Sie wollen vermeiden, daß andere Männer auf sie aufmerksam werden. Sie selbst wollen der Mann sein. Sie nähern sich ihr als Mann. Da ist die Sperre. Sie rütteln an der Ordnungsschranke, betonen Ihr Recht als Vater — wohl eine Art jus primae noctis — und stürmen auf den Bahnsteig. Da kommt der Erzbischof, die personifizierte christliche Erziehung, die Sie hindert in den Abgrund zu springen. Ihre Tochter springt. Sie hat keinen Erzbischof zur Seite, sie ist zum Inzest bereit. Sie können nicht springen. Es sticht im Unterleib. Ihr Leiden meldet sich, wenn Sie an Kopulation denken. Ein solches Leiden stellt im Falle des Versagens eine gute Entschuldigung dar. Vor sich selbst und anderen.
»Nun, wie war eure Party?« fragt seine Frau beim Frühstück. Vater und Tochter sehen einander an. Reflexartig beißt er in sein Hörnchen. Stephanie scheint weniger überrascht zu sein. Ohne Anhaltspunkte, woher und vor allem was ihre Mutter von dem Abend weiß, erzählt sie eine rundherum glaubhafte Geschichte. Daß es besonders nett gewesen sei, wie alle Einladungen bei dieser verrückten Person. Clou des Abends sei diesmal natürlich der Papi gewesen. Zunächst habe er nichtsahnend mit Geschäftsfreunden im französischen Restaurant gegessen. Bis einer der Herren, gleichfalls Vater einer Tochter, die wie sie eingeladen war, ihn gefragt habe, ob er diesen Bohemekreis als geeigneten Umgang für seine Tochter ansehe. So seien die beiden Väter, nachdem sie sich an Bouillabaisse und Käsespezialitäten gütlich getan hätten, bei der Fête aufgekreuzt.
Ohne Speichel schluckt der Vater an seinem Hörnchen. Die besten Lügen liegen dicht neben der Wahrheit. Er wendet sich an seine Frau.
»Ich
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