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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Einstellung. Aber er käme sich lächerlich vor, als reifer Mann den Doktor in seinen intimen Angelegenheiten um Rat zu fragen.
    Er versucht Babette zu erreichen. Zu einer Zeit, da sie eigentlich in der Schule sein mußte. Sie erzählt von einer Freundin, in deren Wohnung man nach dem Vortrag weiterdiskutiert habe. Dort sei sie geblieben. Und er möge ihr gefälligst nicht nachspionieren. Er will ihr die Geschichte glauben. Ihre Stimme klingt wieder freundlicher, kommt ihm vor. Für sein jüngstes Geschenk, ein Kopftuch von Hermès, hat sie sich sogar bedankt. Trotz ihrer Abneigung gegen Marken-Snobismus.
    Fleißig probiert er neue Tonarten, die kleine Drehung als dialektische Fingerübung. Statt Hundeblick — ironisches Auge; statt Fragen — Scherze. Er macht sich lustig über den Föhn, der ihm zusetze, fragt nicht lange, zieht Jacke und Schuhe aus, legt sich aufs Bett, ruft sie zu sich, wie ein Patriarch, streckt ihr den Arm entgegen, sieht den Zeigerstand auf seiner Uhr. Längst müßte er zurück ins Werk. Sie kommt.
    Fünf Minuten kann er zugeben.
    Sie legt sich neben ihn.
    Scheißfabrik.
    Sie wehrt sich nicht.
    Auf Hilde ist Verlaß.
    Das Herz hämmert bis in den Schädel. So muß Infarkt sein! stellt er sich vor. Nur ohne Blutstau im Lendenbereich. Das Hochgefühl verdrängt den Gedanken nicht ganz: So muß Liebestod sein! Wie kann er in dieser Lage an Tod denken? Mit Babsi im Arm. Warum geht der Kopf heut nicht weg? Er konzentriert sich hinunter, erfolgreich: Mit Stechen und Ziehen meldet sich sein Leiden.
    Im Badezimmer zwingt er den treulosen Dämon in zweckdienliche Position. Jetzt ist der Termin im Werk nicht mehr zu retten. Zerschlagen kommt er zurück. Babette hat sich umgezogen und legt gerade den Hörer auf. Er versucht einen Scherz in neuer Tonart.
    »Ja Kleines, ich werd noch ein bißchen in mein Fabrikchen schauen. Solltest du hungrig sein, könnten wir uns heut abend einen Löffel Suppe teilen.«
    Was rede ich für einen Unsinn, denkt er. Aber sie lacht. Und sagt zu.
    Er kam in den Nachmittagsverkehr. Unter Eingekeilten stand er sich zum Werk hinaus. Hilde hatte alles erledigt. Paul fiel ihm ein. Man sollte verkaufen und nur noch an sich denken! Von Stephanie wußte er, daß seine Frau oft mit Paul Dauergespräche führte. Er hatte zu Hause abgesagt, hatte einen Tisch bestellt, in einem französischen Spezialitätenrestaurant, wo man ihn kannte.

    Babette genießt die Zuvorkommenheit des Personals, die Autorität, die er genießt, und bestellt mit kindlicher Arroganz. Kaum ist der Kellner gegangen, fallen sie in Fremdheit zurück, sprechen höflich über allerlei, wie an einem ersten Abend.
    Dann kommt, wie bestellt, ein Herr an den Tisch, im Alter zwischen ihm und ihr, gibt sich überrascht, Babette zu sehen, läßt sich vorstellen, hofft nicht zu stören, weiß nur zufällig von einer Geselligkeit, übrigens ganz in der Nähe, völlig zwanglos, nennt die Namen einiger Maler, Schriftsteller, Musiker, die kennenzulernen sich gewiß verlohne, falls man nichts anderes vorhabe, was Babette verneint hat, bevor er sich äußern kann.
    Sie ließen den Wagen stehen. Babette kannte sich aus, lief vorweg, um ein paar Ecken, hinein in den abgegriffenen Neubau. Trotz der Weitläufigkeit des Bienenstocks war die Wabe nicht zu verfehlen. Die Gäste saßen bis vor die Tür. Er war auf Exzesse gefaßt. Auf jenes Schwabing, von dem man immer hörte. Soweit sich den Maßen der Decke entnehmen ließ, handelte es sich um einen großen Raum, Diele, Küche und Bad. Keine Anzeichen einer Orgie. Alle Anwesenden waren bekleidet, wenn auch sehr unterschiedlich. Rollkragenpullover, dunkler Anzug, Lederjacke, Smoking. Überhaupt fehlte es nicht an Eigenarten. Die Garderobe befand sich in der Badewanne, in der sich die Mäntel türmten; das Kalte Büfett in der Küche bestand aus einem Rad Schweizerkäse, einigen Salamis, Messern, die zur gefälligen Benutzung herumlagen, und einem Korb Brezeln. Zu trinken, sagte jemand, habe es auch schon gegeben, im Augenblick werde Nachschub besorgt.
    Babette schlängelte sich durch die Gruppen, nannte Dutzende beim Vornamen. Seine Bitte, ihn zuerst dem Gastgeber vorzustellen, überraschte sie.
    »Die kann ich dir jetzt nicht raussuchen! Ist gar nicht gesagt, daß sie überhaupt da ist.«
    Das Ungewohnte wirkte beruhigend auf ihn. Wenn das ihr neuer Kreis ist... Intelligente Bohème, an sich ganz komisch, völlig harmlos. Eine schmale Frau in Hosen, nicht mehr jung, bat ihn um Feuer.

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