Ich liebe mich
leide an krankhaftem Selbstbestätigungsdrang. Selten seien die Mädchen über achtzehn. Solche Kompensationsbedürfnisse finde man oft bei Männern, die ihre mögliche Gescheitheit durch zu große Bildung verfehlt hätten.
Babettes Hand krault in dem kurzen Haarschnitt, ihre Wange lehnt zärtlich am Bügel der randlosen Brille. Stephanie steht an einer Bücherwand, trinkt etwas mit Strohhalm. Der Graue bemüht sich anderweitig. Die Atmosphäre hat ungewohnten Reiz.
Tanzen, sagt die Stimme neben ihm, sei nur allzu oft Ventil für müde Verbindungen. Der Frauenarzt küßt in einen Mund. Mit verbogenem Schnurrbart. Stephanie flieht an die kratzige Vaterwange, hievt ihn hoch zum Protesttanz gegen den Schnurrbart, unstatthaft angeschmiegt, und macht sich Mut mit flotter Rede.
»Brauchst mir gar nichts zu erzählen, Papi. Ich weiß alles!« Er scherzt gelassen, genüßlich. Sie will festgehalten werden, jetzt, das leuchtet ihm ein, holt sich Familientrost nach den Spielregeln des unbürgerlichen Hauses.
»Gib’s zu! Ich weiß es schon lange. Ich sag Mami nichts. Mir geht’s ja ähnlich wie dir.«
Sie klammern sich aneinander, glücklich, verwandt zu sein. Salzburg fällt ihm ein. Er fühlt wie damals. Man müßte Gott auf den Knien danken für diese Tochter! Babette lächelt gedankenlos herüber. Da streicht ihm die Tochter übers Haar, wie keine Babette der Welt ihm übers Haar streichen kann, läßt die Hand in seinen Nacken gleiten, daß ihm die Augenlider schwer werden, und dreht seinen Kopf. Ihre Lippen berühren sein Ohr.
»Schau nicht hin! Wir sind uns viel näher.«
Sie tanzen zur Diele, zu den Mänteln ins Bad. Hier sind sie allein, stehen aneinandergeschmiegt; Instinkte überspielen zweitausend Jahre christliche Erziehung. Erst als beide wissen, wie es wäre, lassen sie voneinander ab.
Im Wagen saßen sie wie Fremde. Es ging darum, den alten Zustand wiederherzustellen. Oder doch etwas Ähnliches. Noch konnten sie nicht sprechen, sahen geradeaus, Stephanie ein wenig verstört, der Vater ungläubig-verwundert wie nach seinem Wachtraum beim Doktor.
Mein Gott — wie wenig man sich kennt — was ist das in uns — entsetzlich Erst auf der leeren Prinzregentenstraße bricht Stephanie das Schweigen.
»Hast du ihr wirklich die Wohnung eingerichtet? Und den Wagen gekauft?«
Ihre Frage überrascht ihn. Und die Überraschung hilft ihm in seine alte Rolle zurück. Er muß den Dialog umdrehen: Er hat mit ihr zu sprechen, ihr Verhalten zu rügen gegenüber diesem Frauenarzt. Aber Stephanie übergeht den Wiederaufbau väterlicher Autorität.
»Ich hab’s gleich gewußt. Damals schon, als sie zum Tee kam und du uns einreden wolltest, sie wär was für Golo.«
Er spielt mit dem Gedanken, noch einmal um den Block zu fahren. Früher hatte er das oft getan. Wenn Stephanie ihm etwas erzählen wollte, hatten sie sich ins Auto gesetzt und waren um den Block gefahren, ganz langsam. Aus dieser Zeit wußte er auch: Wenn Stephanie etwas erfahren wollte, war er ihrem Dickkopf nicht gewachsen.
»Dann lebt ihr schon die ganze Zeit zusammen? Ich versteh dich nicht! Sie könnte deine Tochter sein.«
Er holt weit aus, spricht über begreifliche Divergenzen im Verlauf einer Ehe. Es sei hart, plötzlich die Feststellung treffen zu müssen, daß man nicht mehr dieselben Interessen habe, nicht mehr dieselbe Sprache spreche. Man fühle sich sehr einsam ohne einen Menschen, dem man mitteilen könne, was einen bewege.
Stephanie schüttelt den Kopf.
»Ach was! Bei euch ist das reiner Sexus.«
Gewiß, räumt er ein, auf einem so diffizilen Gebiet, wie es die menschliche Seele in ihrer Komplexheit nun einmal darstelle, könnten zeitweilig auch körperliche Momente die Oberhand gewinnen, das lasse sich nicht immer trennen. Im Grunde aber gehe es nur darum, verstanden zu werden mit allen Stärken und Schwächen. Er habe Schweres durchgemacht in diesem Jahr und zu Hause nur begrenzte Anteilnahme gefunden. Bitte, das solle kein Vorwurf sein. Gegen niemanden.
Stephanie stellt den Motor ab. Das gründliche Kind hat noch viele Fragen.
»Aber mit Mutter warst du doch auch einmal so wie mit ihr. Oder nicht?«
Dies, wollte er sagen, sei etwas völlig anderes, als ihm einfällt, wie wenig er mit ähnlichen Gedankengängen Babette überzeugt hatte. Er behilft sich damit, die zwischenmenschliche Beziehung an sich als die große Unbekannte hinzustellen, auf die der einzelne im Grunde keinen Einfluß habe. Man könne Glück finden und sich
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