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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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hatte er Verständnis, für jeden Zeit. Zum Mittagessen ließ er sich im paneelierten Restaurant der Aufsichtsräte sehen, fuhr anschließend nach Hause, weil seine Frau mit ihm über Golo sprechen wollte, der mit dem Studium nicht zurechtkam. Den Nachmittag füllte er mit aufgeschobenen Besprechungen, diktierte Briefe, las Statistiken, Berichte, Marktanalysen. Und Hilde saß auf Kohlen. Ihre Nachbarn, die sich tagsüber um Töchterchen Monika kümmerten, hatten sie zum Abendessen eingeladen und der Chef ging und ging nicht, wurde immer emsiger, immer fröhlicher. Schließlich sagte sie ab. Sie hätte gehen können, er hätte sie gehen lassen, aber sie wollte da sein, für den Fall, daß er sie benötigte. Und so war es auch. Der Chef bestellte einen Sandwich und ein Glas Bier. Erst gegen neun Uhr fuhr er aus dem Werk, um weiter zu arbeiten, mit Babette, dort, wo sie stehengeblieben waren: bei Netto-Investitionen und Kapazitätseffekt.
    »Halli hallo, da bin ich!« meldet er sich in der Diele.
    Kein Schreibmaschinengeklapper. Babette stellt ihm den jungen Mann mit dem kurzen Haarschnitt und der randlosen Brille vor. Es bedarf nur weniger verbindender Worte: Wirtschaftsführer und Wirtschaftslehrlinge haben sofort ihr Thema. Babette spielt erstmals Dame des Hauses: sie bringt Getränke. Der väterliche Freund trinkt auf eine erfolgreiche Zukunft für den jungen Mann. Beim zweiten Glas verlieren sich die Kontrahenten in Einzelheiten über Meistbegünstigung und Reziprozität, plaudern aufgeräumt, wie Geschäftsfreunde privat. Die junge Dame des Hauses wird nicht gebraucht und fängt an zu tippen.
    Der jüngere Mann wirft Fragen auf; der ältere kann Erfahrung weitergeben. Das bringt sie einander näher. Da hört Babette zu klappern auf. Sie hat Hunger. Der jüngere Mann auch. Sofortiger väterlicher Entscheid: Wer streng arbeitet, muß auch essen.
    Er führt sie in ein Spezialitätenrestaurant, freut sich, daß ihnen die Austern schmecken. Der fachliche Gedankenaustausch macht den Abend gemütlich. Er trinkt rasch. Bei der zweiten Flasche Champagner haben sie auch die Marxsche Zusammenbruchstheorie und das Kartellwesen hinter sich gebracht. Jetzt hält er Kolleg über dynamischen Führungsstil: »Ausstrahlung ist Wille mal Selbstvertrauen plus Kondition. Kontinuierliche Ausstrahlung ist Image. Darauf kommt es an. Deswegen: Nie aufgeben! Mag eine Sache noch so trüb aussehen. Was Sie sich einmal in den Kopf gesetzt haben, müssen Sie durchstehen. Das heißt: Taktieren! Nie mit der Wahrheit ins Haus fallen. Was Sie wirklich beabsichtigen, dürfen die andern erst merken, wenn’s zu spät ist. Bis dahin muß Ihre Position so fest sein, daß sie nichts mehr dagegen unternehmen können.«
    Seine Worte beeindrucken. Die beiden jungen Menschen lächeln respektvoll-verlegen. Babette deutet auf ihre Armbanduhr. Der jüngere Mann winkt dem Ober, zieht die Brieftasche, die Rechnung aber bekommt er nicht. Höflichkeitsgeplänkel, selbstverständlich mein Gast, Spesen, falls das beruhige.
    Der jüngere Mann übernimmt die erste Runde des Diktats. »Ich löse Sie nachher ab«, sagt der ältere. Ein Ziehen im Oberkiefer, das er schon kürzlich festgestellt hat, wird wahrgenommen. Mit der Zunge von der Mitte her die Zähne abzählend ortet er die vermutliche Ursache. Beim fünften oben links ist ihm, als lasse der sich bewegen. Eine Handprobe hinter vorgehaltener Zeitung bestätigt die Zungendiagnose. Kann aber auch Selbsttäuschung sein, hervorgerufen etwa durch eine entzündete Stelle im Gaumen. Die Sache wird abklingen, wie diese Sache hier, der er gegenüber sitzt. So etwas sieht man. Babette ist viel zu verspielt für den ehrgeizigen jungen Mann. Stephanie war auch drauf und dran, eine Dummheit zu machen. Liebe ist in diesem Alter vorwiegend Chemie, Sekretion, Umstellungsprozeß, Schutzimpfung gegen Schicksal.
    Er kann warten. Aber jetzt muß er ins Bad. Heute schließt er die Tür. Der Tipprhythmus verlangsamt sich nicht. Die Kinder bleiben bei der Sache, bemerken nicht einmal, als er zurückkommt, sich auf die Couch legt und recht geräuschvoll die Zeitung von innen nach außen umfaltet. Zum Lesen kommt er nicht, streckt sich, atmet durch, schaut den beiden zu und läßt die Gedanken treiben.
    Sollte immer liegen nach dem Essen — ich muß die Bonn-Reise hinausschieben — was tut man sich an — immer hin es erhält jung — warum ist Golo nicht wie er — in zwei drei Jahren hätt ich ihn soweit — wie lang wollen die

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