Ich liebe mich
sein. Zum ersten Mal hat er Zeit. Zeit für sich, Zeit für sie. Langsam breitet er sich aus, jede Verrichtung genießend. Stellt seine Zahnbürste zu der ihren ins Glas, legt den Rasierapparat zwischen die Tiegel und Fläschchen, betrachtet sich im Spiegel. Das Licht ist zu Hause besser. Er zieht die Schuhe aus, bewegt die Zehen. Erst wenn man die Schuhe ausgezogen hat, ist man zu Hause. Er gähnt, er brummt, streckt und räuspert sich, nimmt die Krawatte ab und schlurft sich in seinen Lackpantoffeln heimisch. Der Fünfte oben links meldet sich, nicht lästig, sagt nur, daß er da ist. Draußen wird es dunkel, ein kalter Wind war aufgekommen nach Mittag, in den Bergen muß es geschneit haben. Manche Menschen spüren den Schnee noch mehr als den Föhn, aber er spürt nichts, heute nicht. Er kann bleiben. Das Nestchen wird zum Häuschen am Waldrand, die Schatten der Dächer zur Silhouette der Wipfel. So könnte es sein. So wird es sein. Er schlurft nach nebenan, legt sich aufs Bett. Es ist ganz ruhig. Hier draußen am Wald gibts keine Anfechtungen. Sie wird im Garten sein, die Hühner versorgen und dann kommen, um dazusein während der Nacht. Er hat sich eine Zigarre mitgebracht, qualmt und riecht trotzdem den Wald. Die Doktorarbeit nebenan auf dem Tisch ist nicht mehr Produkt eines ehrgeizigen Verstandes, nur noch ein Buch, Adalbert Stifter vielleicht. Er streift die Pantoffeln ab wie schwere Stiefel nach langer Wanderung, sein Gesicht glüht vom scharfen Wind, der hier oben weht.
Jetzt wird sie gleich kommen. Zeit muß man füreinander haben, Zeit. Nicht hetzen von Termin zu Termin, versäumte Stunden mit Geschenken aufwiegen. Sie hat recht gehabt. Sie will Geborgenheit, nicht den Liebhaber auf Abruf. Zuverlässigkeit. Wie unverbildet so ein Kind reagiert, wie sauber. Wie ein Tier. Jetzt wird sie gleich kommen! Schon hört er das Geräusch des Schlüssels. Und da ist die geliebte Stimme.
»Was soll denn der Koffer hier? Ach du bist das!«
Behaglich sitzt er auf dem Bett, die Zigarre in der Hand, lächelt über ihre Reaktion, erklärt die Umstände und wie sehr er sich freut.
Babette reißt das Fenster auf.
»Ich mag diese Art Überraschungen nicht. Ich arbeite und muß frei sein. Wenn ich schon diese Zigarre rieche...« Sofort legt er sie weg, hat für alles Verständnis. Aber immerhin: man müsse einmal beisammen sein und in Ruhe über alles reden. Sie sei im Begriff, eine große Dummheit zu machen.
Als ob er keine machte! Und dann seine Behauptung, eines Tages würde sie ihm dankbar sein. Woher nimmt er diese dreiste Ruhe? Ja, die Wohnung gehört ihm und alles ist von seinem Geld. Aber das ist keine Leistung, aus der er ein Recht ableiten könnte. Sie wird sich nicht dankbar zeigen. Den Gefallen tut sie ihm nicht. Im Gegenteil.
Sie nimmt das Telefon, geht ins Bad und schließt sich ein.
Der Schmerz ist wieder da. Am Fünften oben links. Er holt sich einen Whisky, sucht nach einem anderen Ton, anderen Text. Die Zigarre hat sie geärgert. Zigarre hat etwas Altväterisches. Er hat’s bei seinem Vater auch nicht gemocht. Und den Tabakatem. Rauchen ist und bleibt eine Zivilisationsdreckelei. Junge Nasen sind da empfindlicher. Daß er die Zigarre überhaupt eingesteckt hat, geschah unterbewußt. Ablenkung. Wegen des Zahns.
Da ist sie wieder, stellt das Telefon auf den Nachttisch.
»Ich gehe. Du kannst dir in Ruhe ein Taxi bestellen und nach Hause fahren. Oder soll ich Stephanie Bescheid sagen, daß sie dich holt?«
Bevor ihm eine Antwort gelingt, fällt die Tür ins Schloß. Er muß etwas unternehmen. Soll er ihr nach? Sein Puls wird schneller. Er kann nichts unternehmen. Wenn er genau in sich hineinhorcht, und das gelingt ihm auf Anhieb, ist ihm, als werde er bald frösteln, als fröstle er bereits. Ja, er fühlt sich elend. Er denkt an seine Frau, tut alles, was er glaubt, daß sie ihm raten würde, wäre sie hier.
»Leg dich ins Bett, sofort. Nein richtig! Du mußt dich ausziehen. Den Whisky kannst du mitnehmen. Wir rufen den Zahnarzt an und einen praktischen zur Sicherheit. Vielleicht steckt eine Infektion im Körper?«
Der Zahnarzt meldet sich nicht. Er wählt die Nummer des Hausarztes, die er zu seinem Erstaunen auswendig weiß, hält jedoch vor der letzten Ziffer inne.
Geht nicht — der in seiner Übervorsicht setzt sich ins Auto fährt zu uns und ich bin gar nicht da — vielleicht weiß der Doktor...
Erst beim dritten Versuch stimmt die Reihenfolge der Ziffern. Erleichtert hört er die
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