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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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pensionsberechtigte Maikäfer. Er fährt. Weg von allem, weg von allen, nach nirgendwohin. Und kommt doch genau vor das Gartenhaus des Doktors.
    Verschlossene Tür auch hier. Immerhin mit der Beschriftung, daß der Inhaber dieser Praxis zu einem Kongreß gefahren und dann und dann zurück sei.

    Sie sitzen einander gegenüber.
    »Ich habe viel gelernt in der Zwischenzeit, Doktor, viel durchgemacht und über manches nachgedacht. Ich weiß jetzt, wohin es führt, wenn man auf eigene Faust lebt, nur seinen Instinkten gehorcht und werde hübsch in der Ordnung bleiben. Wie die andern auch. Neulich, als ich verzweifelt vor Ihrer Tür stand und Sie waren nicht da, wurde mir klar, daß die Psychologie an allem schuld ist. Das war es, was ich Ihnen zum Abschluß unserer doch sehr persönlichen Gespräche sagen wollte. Der Ordnung halber, wenn Sie so wollen.«
    Erst jetzt, da ihm nichts mehr bleibt als >Leben Sie wohl< zu sagen und zu gehen, wird dem selbsternannten Mitarbeiter klar, wie gern er sich zurückhalten ließe. Auch der Doktor merkt es. Und wartet ab. Als Vorhut kommt bald ein »Tjaja« über den Schreibtisch, ein »Psychologie hin — Individuation her« und schließlich der Satz: »Wissen Sie, Doktor, manchmal habe ich das Gefühl: die Ausrüstung, mit der man als Abendländer ins Leben geschickt wird, reicht für drei Ausflüge: Ins Museum. In die Kirche. Aufs Schlachtfeld.«
    Damit sind die Weichen gestellt. Das Geständnis, längst unter Dampf, kann abfahren. Der Mitarbeiter beginnt bei der Rückkehr von Capri. Anfangs schildert er mit Abstand, nicht ohne Witz, setzt Randbemerkungen, als gelte es, alte Irrtümer aus neuer Sicht zu benoten. Bald aber wird die Stimme heller, der Atem kürzer, das Sprechtempo verschärft sich zur Beichte des Gejagten. Wegen Babette kann er nicht arbeiten; wegen der Arbeit kann er nicht bei Babette sein. Und wegen der Familie. Genügt er dem Mädchen nicht mehr? Die Angst drückt auf seine Konzentration, die mangelnde Konzentration auf den Erfolg, die Erfolglosigkeit auf das Selbstgefühl, das schwindende Selbstgefühl auf die Potenz, die schwindende Potenz auf die Eitelkeit. Die Eitelkeit sucht nach Entschuldigungen und fördert damit allerlei Leiden. Die Leiden führen zu Depressionen, die Depressionen zu Angst.
    Mit dem Taschentuch wischt der Mitarbeiter über die Stirn. »...und die Nächte, Doktor! Ich lag wieder im Sarg, wie zu meinen schlimmsten Zeiten. Manchmal hätte ich die Fabrik in die Luft sprengen mögen, um endlich Zeit zu haben. Aber was hätte sie mir genützt? Ich hatte kein Glück mehr, fand einfach nicht den richtigen Ton. Man ist doch konventioneller, als man denkt, oder naiv, rechnet bei dem Jahrgang nicht mit dieser Kälte, dieser Verstandesschärfe. Das sah ich alles ein. Aber, was ändert das Wissen um eine Sache an den Empfindungen? Zuletzt bin ich ihr nachgelaufen, habe sie in der ganzen Stadt gesucht. Eines Nachts komme ich auf der Suche in so ein Schwabinger Bumslokal, plötzlich eine Stimme: >Was tust du denn hier?< War’s Golo, mein Sohn, führt mich zu einem Tisch, um mir, wie er sich ausdrückte, >seine Braut< vorzustellen. Ich war völlig überrumpelt, konnte nicht reden, nicht einmal lächeln. Die Braut, gut und gern sechs Jahre älter, geschieden, Mutter von zwei Kindern. Stellen Sie sich das vor! Ich habe nur genickt. Ich hatte ja mein Provisorium noch nicht. Und dann schaut man sich die beiden genauer an, sieht wie entschlossen sie sind, einander zu lieben, und weiß, daß doch jeder vom andern nur nimmt, sieht, wie da ein Schicksal anläuft und kann nichts ändern — schon hat man wieder ein schlechtes Gewissen, daß man sich nicht genug um den Sohn gekümmert hat. Immerhin war ich wach genug, eine Bedingung an meinen Segen zu knüpfen: Daß Golo von der Medizin auf Betriebswirtschaft umsattelt und mein Nachfolger wird, wie sich das für den einzigen Sohn gehört. Schriftlich! Ich konnte ja nicht reden. Die Braut war begeistert! Und dann kam der letzte Abend mit Babette: Sie hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich zu verhöhnen, mir, sobald ich zärtlich wurde, Dinge zu sagen, die kein Mann verwindet. Es war die Hölle. Und frühmorgens dann nach Bonn: Bundesverdienstkreuz mit Schulterband und Stern. Vielleicht haben Sie’s im Fernsehen gesehen. Der Industriekaiser gab für mich ein Essen, nachmittags Rückflug, großer Bahnhof im Werk, echte Freude bei der Familie, ein Waschkorb voller Gratulationen aus aller Welt, darunter ein sehr

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