Ich mach mich mal dünn - Neues aus der Problemzone
mittendrin in der Verschieberitis. Die nächste Phase der Plage ist geprägt von Alibisuche (»Unter anderen Umständen hätte ich ...«) und Opfergeschichten (»Ich kann ja nichts dafür, weil ...«). Hinzu kommt meist auch noch eine Prise Selbstbetrug. Denn Selbstbetrug tut der gequälten Seele gut. Markus ging es nicht anders: Er bildete schnell wieder eine Koalition mit dem Zweiten Ich, in der sich die beiden gegenseitig auf die Schulter klopften.
Markus: »Mein Gott, ein rein organisatorischer Fehler! Wem passiert das nicht hin und wieder mal? Perfektionisten, die bei jeder Gelegenheit
den Streber raushängen, sind mir ohnehin schon immer auf die Nerven gegangen.«
Zweites Ich: »Ja, die sind echt doof. Leute, die immer nur alles nach Plan machen – das ist doch kein Leben.«
Markus: »Man muss ja auch nicht alles auf einmal erledigen. Ich möchte später im Leben auch noch Ziele haben. Und so schlecht geht’s mir noch nicht, dass ich mir mein Leben zur Hölle machen müsste.«
Zweites Ich: »Schon klar. Aber vergiss nicht: Wenn du die ganze Sache auf einen ungewissen Zeitpunkt verschiebst, passiert garantiert gar nichts. Das haben wir doch im Ziele-Seminar gelernt.«
Markus: »Genau! Und deswegen verschiebe ich nicht auf ewig, sondern nur auf morgen. Oder übermorgen. Ich will ja nur nicht zu viel auf einmal erledigen.«
Zweites Ich: »Richtig so, übernimm dich nicht. Bleib cool. Wie wäre es mit nächster Woche?«
Oder übernächster. Oder wenn die Sonne wieder scheint. Oder wenn die Kinder aus dem Haus sind, dann wird sowieso alles leichter …
Halt! Wer vor der Rente noch was schaffen will, sollte spätestens hier die Kurve kriegen. Es sei denn, er ist ein Verdrängungskünstler wie Markus. Der hat es nämlich im Verein mit seiner inneren Stimme tatsächlich geschafft, sich schon bald nicht mehr schlecht zu fühlen. Er hat – im Gegenteil – den Triumph auf seine Seite gezogen und sich so gut selbst bemogelt, dass er seine Verschieberitis gar nicht bemerkt hat.
Aber wir sind nicht wie Markus. Wir bleiben mit dem Auge am Mikroskop und holen uns Rat bei Fachleuten, wenn die Plage aus dem Blick zu geraten droht. Unsere Profis diagnostizieren die Verschieberitis nach einem Kriterienkatalog. Danach sind die drei wichtigsten Erkennungsmerkmale der »Prokrastination« (so der Fachausdruck fürs Aufschieben, kommt vom lateinischen » procrastinatio « , » pro « steht für »für« und » cras « für »morgen«): Das Verschieben muss kontraproduktiv, unnötig und verzögernd sein. Dahinter sehen Psychologen eine ganze Latte von Ursachen.
Eine davon ist die innere Grunddisposition. Einfach Loslegen ist nach Ansicht von Experten wesensbedingt nicht immer möglich; manchmal braucht man sogar Medikamente zur »Anhebung des Selbstregulationsniveaus«.
Wie einleuchtend das Zweite Ich auch zu sein scheint, wenn es gegen Medikamente das eigene Wesen ins Feld führt: Dass »was essen, um mit dem Essen aufzuhören« nicht wie eine sinnvolle Strategie klingt, ist einleuchtend, oder? Da sollten wir uns beim Aufraffen zum Schönerwerden schon eher eines Psychotricks bedienen. Die Theorie: Wenn Menschen den Zusammenhang zwischen einer Aufgabe und den Gefühlen, die dazu gehören, unterschätzen, sind sie verschieberitis-gefährdet. Mit anderen Worten: Wer’s nicht hinkriegt, hat nicht kapiert, dass Hunger weh tut und Sport anstrengend ist.
Wir schrauben unsere Ansprüche an uns selbst deshalb grundsätzlich von »wow« auf »ganz okay, aber machbar«. Weil wir genau wissen, dass unsre Disziplin sonst flöten geht. Also erst einmal ganz harmlos tun. Die Softdrink-Junkies unter uns legen ein Versprechen gegenüber sich selbst ab: »Ein Tag ohne Cola.« Die Süß-Freunde wagen ein Experiment: »Ich trinke heute mal einen Pott Kaffee ohne Zucker.« Die Gemüse-Feinde erleichtern sich den Umstieg mit Geschmacksverstärkern: »Einmal Karotten mit Ketchup bitte.« Danach fühlen sie sich erfolgreich und machen das Gleiche noch zweimal. Oder dreimal, und dann immer öfter.
Oder sie suchen sich eine Verschieberitis-Selbsthilfegruppe. Das bringt aber – wichtig, wichtig – nur was, wenn man vor jedem Treffen anruft und nachfragt, ob der Termin nicht verschoben wurde.
3. Eine Frage mit Risiko: »Bin ich eigentlich zu dick?«
Zahlen, Daten, Fakten? Von wegen. Die Selbsteinschätzung in Körperangelegenheiten wird von Gefühlen und vom Geschlecht bestimmt
»Ein Plan! Ein Plan! Wir
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