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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Gesetz, das eine Einbürgerung ermöglichte, fand sich eins, das diese Einbürgerung verhinderte. Zum Beispiel dies, dass die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger kein Recht auf Einbürgerung hätten. Das galt aber nur in Berlin-Brandenburg.
    »Warum dürfen die Arbeitslosen in München, Hamburg und Stuttgart eingebürgert werden und in Berlin nicht?«, fragte Feldman den Innensenator.
    »Weil Deutschland ein demokratisches und föderalistisches Land ist, wo jedes Bundesland seine eigenen Gesetze entwickeln kann. Und diese Freiheit will das Land Berlin nicht aufgeben.«
    Der Arbeitslose hatte hier also kein Recht auf Einbürgerung. Und wer nicht arbeitslos war, konnte es jederzeit werden. Eine ältere Frau, die in Berlin jahrelang als Krankenschwester geschuftet hatte, wartete Jahre auf einen Bescheid vom Ausländerbeauftragten. Es kam nichts. Dann wurde sie entlassen. Sofort meldete sich die Behörde bei ihr: Sie könne nicht eingebürgert werden, da sie ja nun arbeitslos sei.
    Es ging hier um Menschen, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hatten, die Deutschland von ihrem Aufenthalt also wohl sowieso nie mehr befreien würden – ob mit oder ohne einen deutschen Pass. Für eine fünfundfünfzigjährige Krankenschwester einen Job zu finden, war in Berlin eine ziemlich unmögliche Sache. Aber Gesetz war Gesetz. Feldman konnte dieser Frau auch nicht helfen, aber er wusste inzwischen, wie er seine Landsleute in gute Laune versetzen konnte.
    »Schauen Sie mich an!«, sagte er in solchen hoffnungslosen Fällen. »Ich lebe seit zwölf Jahren hier, ich habe eine große Zeitung auf die Beine gestellt und halte Sprechstunden in der jüdischen Gemeinde zu Fragen der Integration ab. Aber auch ich habe keine Einbürgerung, nur einen Fremdenpass, genau wie Sie.«
    Die Besucher fühlten sich dann nicht mehr als vereinzelte Außenseiter, die ungerecht behandelt wurden. Wenn selbst der Mann mit der schicken Krawatte keinen normalen Pass hatte, dann sah das schon fast nach Gerechtigkeit aus.
    Feldman war wie ich 1990 mit seiner Familie nach Berlin gekommen. Er wurde als jüdischer Kontingentflüchtling anerkannt und durfte ausnahmsweise nicht erst nach zehn, sondern schon nach acht Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Sein Pech war nur, dass er in Wilmersdorf wohnte, wo eigene Gesetze herrschten. Vor vier Jahren fand in einer Wilmersdorfer Straße eine Schießerei statt. In der Zeitung stand, dass russische Zuhälter ihre Einflussgebiete im Rotlicht-Milieu mit der Waffe aufteilten.
    Es gab zwei Tote. Am nächsten Tag erschien Feldman mit seiner Frau beim Bezirksamt, um einen Antrag auf Einbürgerung zu stellen. Die erste Frage, die der Beamte ihm stellte, war, ob er gestern dabei gewesen wäre. Seitdem ist viel Zeit vergangen. Der damalige Beamte ist längst befördert worden, aber Feldman ruft noch immer einmal im Jahr im Bezirksamt Wilmersdorf an und fragt, wie es um seine Einbürgerung bestellt ist.
    »Ich bin erst seit anderthalb Jahren hier, ich muss mich erst einarbeiten«, sagte ihm neulich die Beamtin.
    Feldman drohte mit Beschwerden.
    »Wenn Sie eine Beschwerde schreiben, werde ich darauf antworten müssen. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, und einer ihrer Landsleute wird deswegen auf seine Einbürgerung noch länger warten müssen«, bekam er zur Antwort.
    Man munkelte, dass sich in Wilmersdorf und Schöneberg viele reiche Russen niedergelassen hatten. Deswegen gingen die Beamten dort mit den Einbürgerungsanträgen nun sehr vorsichtig um – sie fassten sie erst gar nicht an. Diese Russen würden sicherlich nicht arbeitslos, aber vielleicht würden sie sich irgendwann als Mafiosi entpuppen. Wer weiß?
    Bei uns in Ost-Berlin ging die Sache mit der Einbürgerung recht zügig. Meine Frau und ich hatten bis zum letzten Moment gezögert, weil man sich den Ärger mit den deutschen Behörden eigentlich gerne ersparen will. Immerhin hatten wir es geschafft, zwölf Jahre ohne diesen Pass, nur mit einem Reisedokument für Staatenlose, ausgestellt von der deutschen Ausländerbehörde, zu überleben – und fühlten uns dabei ganz wohl. Wir konnten uns als Kontingentflüchtlinge fast überall in Europa frei bewegen. Dann aber wurde das Reisedokument nicht mehr verlängert, und wir mussten zum Bezirksamt, um unseren Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit geltend zu machen.
    Schon nach sechs Wochen waren wir eingebürgert, nur unter falschen Namen und ohne die Kinder. Dafür gab es natürlich auch

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