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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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erzählen. Vielleicht hat das Kind irgendwelche verborgenen Talente, dachte ich, die durch seine Bekanntschaft mit der Trompete geweckt werden. Vielleicht steckt ein neuer Miles Davis in ihm.
    Und tatsächlich, man sehe und staune: Innerhalb weniger Stunden hatte Sebastian autodidaktisch Trompete hupen gelernt. Das Wichtigste daran ist natürlich die richtige Stellung. Ein erfahrener Trompetenspieler wird niemals gleich in seine Trompete blasen, im Gegenteil: Er wird sie in der Hosentasche verstecken und so tun, als hätte er damit gar nichts vor.
    Dann geht Miles Davis auf die Suche nach einer richtigen Position. Sehr empfehlenswert fürs Trompeten ist zum Beispiel das elterliche Schlafzimmer, am besten um sechs Uhr morgens. Man geht geräuschlos hinein, passt auf, dass die Tür nicht knallt, um den Überraschungseffekt nicht zu versauen. Danach platziert man die Trompete so nahe wie möglich an den Ohren des schlafenden Vaters beziehungsweise der Mutter, holt tief Luft und bläst volle Pulle hinein.
    Danach muss der Trompetenspieler ganz schnell wegrennen, die Trompete mit beiden Händen festhalten und sich am besten für ein paar Minuten irgendwo verstecken, damit die unter dem Musikeinfluss stehenden Zuhörer Zeit haben, sich zu beruhigen. Die Zuhörer laufen wach und wütend durch die Wohnung, knallen mit den Türen und rufen laut nach dem Trompetenspieler: »Wo steckst du, Autodidakt, komm raus, zeig dich, du Feigling!«
    Der Trompetenspieler ist höchst zufrieden. Seine Musik hat ihre Wirkung gezeigt, alle sind plötzlich zum Leben erwacht. Er versteckt seine Trompete, bevor er mit einem unschuldigen Gesicht aus dem Badezimmer hervorkommt und den Verlust seines Instruments beklagt: »Ach, ich weiß nicht, wo sie ist, gerade eben habe ich sie noch in der Hand gehabt, jetzt ist sie plötzlich verschwunden …«
    Wir haben keine Lust weiterzuschlafen und gehen auf den Balkon, um eine Frühzigarette zu rauchen. Die Kreuzung ist um diese Zeit noch ziemlich leer. Nur die mollige Dame sitzt schon da. Sie schimpft leise vor sich hin und wartet auf die Autofahrer. Ihre Stimme dringt als leiser Großstadt-Sound zu uns hoch.
    »Hörst du das auch?«, fragt mich meine Frau.
    »Das ist Ella Fitzgerald«, sage ich.
    »Die ist doch schon längst tot.«
    »Ja, aber doch immer noch gut zu hören in Berlin.«

Deutscher Pass
    Viele meiner Landsleute, die ich vor zwölf Jahren in einem Ausländerheim in Berlin kennen gelernt hatte, konnten sich erfolgreich in ihrem neuen Leben behaupten. Nur deutsche Staatsbürger zu werden, hatten die meisten bisher noch nicht geschafft. Warum eigentlich? Die rechtliche Grundlage dafür war vorhanden, die Zeit war reif, man brauchte eigentlich nur die üblichen hundert Zettel zusammenzupacken und zu den Behörden zu gehen. Einige kamen durch den Gesetzesdschungel, mehrere sind dort stecken geblieben beziehungsweise seit Jahren in den Ämtern unterwegs.
    Mein alter Freund Dimitrij Feldman, der zusammen mit seinem Bruder die größte russischsprachige Zeitung in Deutschland, Russkaja Germania, herausgab, wusste darüber gut Bescheid, zumal er vor einem Jahr in den Vorstand der jüdischen Gemeinde von Berlin gewählt worden war. Feldman war dort für die so genannten Integrationsfragen zuständig.
    Seine Sprechstunde besuchten fast ausschließlich Leute, die in ihrem Papierkrieg nicht weiterkamen. Es waren immer fast aussichtslose Situationen. Neulich klagte eine Mutter, ihre zwölfjährige Tochter könne nicht eingebürgert werden, weil die zuständige Behörde ein Zeugnis für die erste und zweite Klasse der Grundschule über deren Deutschkenntnisse verlange, die Tochter aber nur ein Zeugnis von der vierten Klasse besäße.
    »Wir brauchen aber auch eins von der ersten Klasse, so sind die Gesetze«, meinte der Beamte.
    Die Schule weigerte sich jedoch, solche Zeugnisse auszustellen, und behauptete, so etwas wie eine Sprachprüfung gäbe es in den ersten Klassen noch gar nicht. Die Mutter lief hin und her. Unser Freund Feldman konnte ihr nicht wirklich helfen, nur mit dem Berliner Innensenator einen Termin vereinbaren und ihn danach fragen.
    »Wenn das Mädchen ein Zeugnis von der vierten Klasse hat, heißt es, dass sie Deutsch kann, sonst würde sie es gar nicht bis zur vierten Klasse schaffen.«
    »Jawohl«, sagte der Innensenator, »Sie haben vollkommen Recht.«
    »Und was machen wir nun?«
    »Nichts. So sind die Gesetze, und auch ich kann sie nicht ändern«, meinte der Innensenator.
    Z ujedem

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