Ich mach mir Sorgen, Mama
schlimme Räuber Suchman ist wieder aufgetaucht. Er stellt ein Problem dar, sei bitte du die Lösung.«
Also geht der Hüne Ilia in den Keller und holt seine berühmte Streitkeule aus der Truhe. Er holt noch seine andere Ersatz-Streitkeule, für alle Fälle, und noch eine ganz kleine mit scharfen Nadeln drauf, falls die ersten zwei versagen, setzt sich auf sein Pferd und reitet los, bis er auf den Räuber trifft. Die Einzelheiten des Streites interessieren ihn überhaupt nicht, er geht gleich zur Sache.
»Wie willst du es haben?«, fragt er den Räuber. »Soll ich dich mit einem Schlag in die Erde hacken oder ist dir Stück für Stück lieber?«
»Du hast eine große Klappe«, antwortet der Räuber Suchman, zieht seinen krummen Säbel aus der Hose und geht auf den Hünen los. Danach streiten sie ungefähr zwei Seiten lang: Booms! Bams! Booms! Bams … Am Ende bekommt der Hüne Ilia gute Laune, der Räuber Suchman ist schon zwei Meter unter die Erde gehackt worden, für Ilia ist es aber noch zu früh, um nach Hause zu gehen. Also reitet er weiter, besucht den Bruder des Räubers Suchman, seinen Schwager und seinen Cousin: Booms, Bams, Booms, Bams. Abschließend besucht er eine Prinzessin. Sie freut sich natürlich. Sie trinken zusammen Tee.
»Ich war hier zufällig geschäftlich unterwegs«, erzählt der Hüne Ilia, »und dachte, schau ich einfach mal vorbei.«
»Toll«, sagt die Prinzessin, »du kannst bei mir übernachten, wenn du willst.«
Am nächsten Morgen will er los. Die Prinzessin sagt, er könne diesmal länger bleiben, wenn er Lust habe.
»Nö«, sagt Ilia, »keine Zeit, ich muss weiter.«
Die Prinzessin weint. Der Hüne streichelt ihr zärtlich die Wange.
»Weine nicht«, sagt er. »Ich werde bestimmt noch mal vorbeischauen, irgendwann. Aber nicht jetzt, jetzt muss ich noch etwas erledigen.«
Im Wald haben sich die dunklen Mächte wieder zusammengezogen, die Enkelkinder von Suchman oder weiß der Geier wer. Also reitet er erneut seinen Feinden entgegen: Booms, Bams, Booms, Bams … Und jedes Mal, wenn er sich an die Prinzessin erinnert und ihr Haus sucht, findet er ein anderes Haus und eine andere Prinzessin darin.
»Hmm«, denkt Ilia, »das ist wahrscheinlich mein Schicksal. Und gegen das Schicksal hilft keine Streitkeule, man muss einfach damit leben.«
Unglaubliches ist passiert. Das Schicksal von Hüne Ilia berührt beide Kinder gleichermaßen. Das Mädchen und der Junge hören gespannt zu.
Fu
Eine Woche vor der Einschulung fing unser Schulkind Nicole langsam an, durchzudrehen. Einerseits war sie stolz, kein Kindergartenkind mehr zu sein, sie hatte ja von uns und anderen Erwachsenen oft genug gehört, was für eine wichtige Etappe im Leben jedes einzelnen Kindes die Schule sei: der erste Schritt zum Erwachsenwerden. Im Kindergarten zirkulierten jedoch intern Untergrundinformationen, die das Schulkind Clarissa dort verbreitet hatte und wonach die Schule große Scheiße sei.
Nicole war deswegen gespalten, trotzdem bereitete sie sich gründlich vor. Sie stopfte ihren Ranzen mit allen ihr zugänglichen Bleistiften, Papierheften und anderem Schulzeug voll und schleppte ihn tagelang durch die Wohnung. Es kostete uns viel Mühe, sie abends vor dem Schlafengehen von dem Ranzen zu trennen. Zwei Tage vor der Einschulung bekam sie Fieber: Erst 37,8 °C, dann 35,9 °C, dann wieder 37,8 °C. Anschließend verlor sie auch noch einen Zahn; die Aufregung war also groß.
An ihrem ersten Schultag standen wir brav mit hundert anderen Eltern um acht Uhr dreißig in der Aula und zogen uns das festliche Programm rein: Zuerst gab es ein Konzert der ehemaligen ersten Klassen mit Tanz und Gesang, dann die Ansprache der Schuldirektorin.
»Haben Sie Geduld mit Ihren Kindern«, beschwor sie die Eltern, »schließlich sind die Kinder noch Kinder, und Sie müssen Geduld mit ihnen haben.«
»Auf gar keinen Fall!«, schrien die Eltern im Saal und lachten. Die Luft war schlecht, die Stimmung aber gut. Alle wollten endlich die Schultüten loswerden und draußen auf dem Schulhof eine rauchen.
»Denn alle Kinder sind unterschiedlich, jedes Kind unterscheidet sich von einem anderem Kind«, fuhr die Schuldirektorin in ihrer Rede fort.
»Oh, Gott«, stöhnte meine Frau. Langsam erinnerten wir uns wieder an unsere eigene Schulzeit. Nicht nur die Kinder, auch die Eltern waren verdammt unterschiedlich: Es gab Eltern mit Krawatte und Anzug, Eltern mit Bart und Brille, Eltern mit einem Loch im Kopf und Eltern mit einer
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