Ich mach mir Sorgen, Mama
Betäubungsmöglichkeiten, um der schwierigen Theaterarbeit gewachsen zu sein. Die burjatischen Gaben kamen also wie gerufen. Nach zwei Wochen war das Gastspiel zu Ende, das Haus kiffte jedoch weiter aus allen Rohren.
In jenem Jahr sollten wir anschließend das junge Publikum mit Dostojeswkis Schuld und Sühne beglücken. Im Stück bringt der junge Student Raskolnikow eine alte Frau um und nimmt ihr Geld, weil die Alte seiner Meinung nach ein überflüssiges Geschöpf ist und die Kohle ohnehin nicht braucht. Außerdem will Raskolnikow sich testen, ob er ein Mann oder eine Maus ist. Er erledigt die Alte mit einem Schlag, wird aber von dem Untersuchungsrichter Porfirij ausgetrickst, der ihn mit pseudophilosophischem christlichem Geschwätz dazu bringt, sich selbst anzuzeigen.
Es war unser erstes Stück nach dem Burjaten-Tanz. Raskolnikow, Porfirij und ich als Jungdramaturg trafen uns kurz vor Beginn der Vorstellung zu einer Routinebesprechung auf der Lichtbrücke. Raskolnikow drehte einen dicken Joint und erzählte, er habe gehört, dass das Burjaten-Gras viel besser schmecke, wenn man es in Bremsflüssigkeit dünste. Ich war misstrauisch und riet ihm von dem Experiment ab.
»Das Bessere ist der Feind des Guten, das hat doch der Vorsitzende Mao gesagt«, argumentierte ich.
»Mir ist egal, was Mao gesagt hat, was konnte er schon vom burjatischen Gras wissen«, antwortete hochnäsig Raskolnikow.
Die Vorstellung begann. Anfangs lief alles gut: Oma tot, Geld gefunden, der berühmte Monolog, ob er ein Mensch oder eine Maus sei und ob Napoleon an seiner Stelle genauso gehandelt hätte, wenn er für die Zukunft Frankreichs dringend Kohle gebraucht hätte. Die ersten Schwierigkeiten tauchten auf, als Porfirij, der am selben Joint wie Raskolnikow gezogen hatte, die Bühne betrat. Die beiden schauten einander in die Augen.
»Was sind Sie für ein Prophet?«, flüsterte der Souffleur Raskolnikow den Text zu.
Raskolnikow hielt sich am Stuhl fest und sabberte: »Was sind Sie …? Was sind Sie …?«
»Und was sind Sie?«, sabberte Porfirij zurück.
»Ich bin Raskolnikow«, sagte Raskolnikow. »Und wer sind Sie?«
»Ich?«, fragte Porfirij zurück und hielt sich ebenfalls an seinem Hocker fest.
»Ein Prophet!«, versuchte der Souffleur den beiden aus der Sackgasse zu helfen, doch sie waren in ihrem Dialog festgefahren. Mehrmals machte Raskolnikow eine Handbewegung, als wollte er eine unsichtbare Fliege fangen, die um ihn herumflog.
»Das Theater macht zu, wir müssen alle kotzen«, rief jemand laut im Saal.
»Geld zurück!«, schrie ein anderer.
Das schien aber den beiden nichts auszumachen.
»Sie sind Sie! Und ich bin ich«, hörte man von der Bühne.
Es war die kürzeste Dostojewski-Vorstellung meines Lebens: Nach fünfundzwanzig Minuten war alles zu Ende. Seitdem weiß ich, wie gefährlich diese klassischen Stoffe sind.
Berlin, wie es singt und tanzt
Berlin ist eine laute Stadt. Besonders laut ist es im Sommer, wenn viele Touristen unterwegs sind und nicht wirklich wissen, wo sie eigentlich hin wollen. An der Kreuzung direkt vor unserem Haus treffen sich täglich Fahrzeuge aus sechs verschiedenen Richtungen und bleiben dort stehen. Sie wollen nicht alle zusammen zum Beispiel zum Pergamonmuseum fahren, den Altar angucken, oder zum Charlottenburger Schloss, den Mann mit dem Stahlhelm besichtigen. Aber nein, jeder will woanders hin. Und alle haben es eilig, alle haben Vorfahrt. Also stehen sie an der Kreuzung und hupen einander voll. Manchmal ergibt sich daraus beinahe eine Musik, eine Art Jazz-Rap, der sich über die Stadt ausdehnt.
Fast täglich erscheint deswegen an unserer Kreuzung eine mollige Dame, die ehrenamtlich versucht, die Autofahrer zur Vernunft zu bringen, indem sie ihnen die richtigen Anweisungen erteilt: »Leck mich doch!«, schreit sie. »Zeig mal deinen Führerschein, hast wohl nie richtig fahren gelernt! Zurück! Haut ab!«
Die Frau hat eine kräftige Stimme, und manchmal hilft sie den Autofahrern tatsächlich, schnell vom Fleck zu kommen. Ihre Stimme passt perfekt zu dieser Stadtsymphonie.
Ich mag Musik. Ich war schon als Kind davon überzeugt, Musik sei die schönste aller Künste. Heute versuche ich, meinen Kindern die Liebe zur Musik zu vermitteln. Neulich habe ich meinem Sohn eine Trompete gekauft. Ein ideales Instrument: für nur zwei Euro eine Menge Spaß. Die Trompete ist extrem laut und einfach im Gebrauch. Ich drückte sie Sebastian einfach in die Hand, ohne dazu groß etwas zu
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