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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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die Gegend fliegt, manchmal fährt er den Coca-Cola -Truck.
    In Deutschland sind Sankt Nikolaus und Santa Claus fast Klone. Sie haben oft die gleichen Geschenke und sind deswegen im kollektiven Bewusstsein der Kinderbevölkerung zu einer Figur verschmolzen: der des Weihnachtsmannes. In Berlin werden die meisten Weihnachtsmänner von der studentischen Arbeitsvermittlung engagiert. An manchen Dezemberabenden kann man zwei bis drei gleichzeitig in einem U-Bahn-Waggon erwischen, wie sie hin und her durch die Stadt pendeln. Einige rülpsen laut in den Sack. Wenn diese junge Weihnachtsmänner lange genug unterwegs sind, können sie sogar dem alten Opa Frost Paroli bieten.

Mein Vater als Geschäftsmann
    Während seines Arbeitslebens blieb mein Vater dem Geschäftemachen fern. Bei uns gehörte früher alles dem Staat. Das hielt die Leute natürlich nicht davon ab, sich so stark mit dem staatlichen Eigentum zu identifizieren, dass sie es von ihren Arbeitsplätzen mit nach Hause nahmen und so das staatliche in Privateigentum verwandelten. Ein Freund meines Vaters arbeitete zum Beispiel in einer Fabrik, die Kämme produzierte – er hatte Tausende davon zu Hause. Zu jedem Feiertag oder Geburtstag bekamen seine Freunde Dutzende von Kämmen geschenkt; er selbst kämmte sich damit letztendlich eine Glatze. Ein anderer Bekannter meines Vaters arbeitete in einem Betrieb, in dem Kinderwagen zusammengeschraubt wurden. Ob beim Einkaufen oder bei der Rückgabe leerer Flaschen; er ging nie ohne einen Kinderwagen aus dem Haus.
    Mein Vater aber war in seinen geschäftlichen Tätigkeiten behindert. Sein Betrieb, in dem er das halbe Leben verbrachte, produzierte aufklappbare Pontonbrücken zur Überwindung kleiner Flüsse. Sie waren für die sowjetische Landwirtschaft von großer Bedeutung: Wenn irgendwo während der Ernte zwei Panzer dringend über ein Flüsschen mussten, kamen die Klappbrücken meines Vaters zum Einsatz. Sie wurden auf einem LKW zum Einsatzort transportiert und dort so schnell aus- und wieder eingerollt, dass die feindlichen Agrarier nur noch staunten, wenn plötzlich die zwei Panzer direkt vor ihrer Nase auftauchten. Diese Pontons ließen sich aber kaum in Privateigentum verwandeln. Sie passten überhaupt nicht in unsere Wohnung. Kleinere Einzelteile versuchte mein Vater dennoch immer wieder in den Haushalt zu integrieren, womit er aber mehr Schaden als Nutzen anrichtete.
    Zuletzt fand mein Vater sich damit ab. Er sprach so gut wie nie von irgendwelchen Geschäften, der Kapitalist in ihm schien für immer ausgelöscht zu sein. Erst als er in Rente ging, nach Berlin übersiedelte und auf einmal viel Freizeit hatte, entwickelte er kapitalistische Tendenzen, wie wir es nie für möglich gehalten hätten. Plötzlich fing er wie verrückt an, täglich neue spektakuläre Geschäftsideen auszuspucken. Laufend wollte er neue Produkte auf den Markt werfen, Profite erzielen und mit diesen Profiten dann noch mehr neue Produkte auf den Markt werfen. Mit meiner Mutter sprach er nur noch von Ich-AGs.
    »Hat Papa etwa das falsche Programm im Fernsehen geguckt?«, fragte ich sie. »Irgendwelche Wirtschaftsmagazine auf n-tv?«
    »Nein, eigentlich guckt er nur Sport«, meinte meine Mutter, »ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist.«
    Mein Vater ging in die großen Kaufhäuser, fand sofort Marktlücken und notierte sie. Zu Hause überlegte er dann, wie er aus eigener Kraft diese Lücken schließen könnte. Seine erste Idee überraschte uns alle. Es war ein Tannenbaum-Weihnachtstopf.
    »Es geht doch nicht an«, erklärte mein Vater dazu, »dass die Leute sich für teures Geld einen Tannenbaum besorgen, nur um ihn zwei Wochen später wieder auf die Straße zu werfen. Wenn man einen Holzkasten von ausreichender Größe erwerben könnte, dass sich die Tanne bis zum nächsten Weihnachtsfest wohl fühlt, dann würden die Leute dafür Schlange stehen. Mit meinem Tannenbaum-Weihnachtstopf bekommen sie die Möglichkeit, ihren Tannenbaum richtig in der Wohnung einzupflanzen und das ganze Jahr über eine frohe weihnachtliche Stimmung zu haben.«
    Mein Vater beschloss, sofort mit der Anfertigung des Prototypen zu beginnen: Weihnachten stand bereits vor der Tür. Er baute den Keller zu einer kleinen Hobbytischlerei um und kaufte haufenweise Holz und Werkzeug im Baumarkt. Die Produktionskosten wollte er so niedrig wie möglich halten: Der Topf durfte nicht zu teuer sein. Die Materialien waren aber doch nicht billig.
    »Dann wird es halt ein

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