Ich mach mir Sorgen, Mama
Abstand zu dem vorderen Läufer halten. Wo bleibt da der Spaß? Ich kenne Schlittschuhlaufen anders. Wenn wir Russen uns aufs Glatteis begeben, dann geben wir sofort Gas, nehmen Anlauf und knallen mit voller Wucht gegen die Wand, am besten noch zu dritt oder viert. Je mehr es dabei kracht, desto besser.
Auch beim winterlichen Spaß »Schneemann bauen« kann ich den Kindern hier nicht ohne Bedauern zusehen. Mühsam kratzen sie stundenlang die dünne Schneeschicht vom Gras und versuchen, daraus eine Skulptur zu formen, wobei alles stimmen muss: zuerst das Unterteil, dann das Oberteil, dann sind noch ein Eimer für den Kopf und eine Möhre für die Nase erforderlich.
Wenn russische Kinder auf die Idee kommen, einen Schneemann zu bauen, dann suchen sie zuerst nach einer passenden Vorlage. Sie wählen ein ruhiges Kind aus ihren Reihen und wälzen es so lange im Schnee, bis es von ganz alleine zum Schneemann wird. Den Eimer auf den Kopf und die Möhre ins Gesicht gibt es nur auf Bestellung. Danach kann der Schneemann eigentlich schon nach Hause gehen.
Jedes Volk hat seine ganz persönlichen Macken, wenn es um Wintersport geht. Die Japaner spielen zum Beispiel überhaupt nur vor dem Fernseher – elektronisch. Sie können ihre Spielprogramme so manipulieren, dass sie immer die Gewinner sind, und niemand trägt es ihnen nach. Die Franzosen können aus ungeklärten Gründen nicht wie alle übrigen Menschen bowlen, deswegen spielen sie Boule.
Nicht uninteressant sind auch die Ostfriesen. Sie spielen im Winter Boßeln, eines der alkoholischsten und verrücktesten Spiele der Welt. Dazu schieben die Ostfriesen eine große schwere Kugel vor sich her, immer in eine Richtung die nächstbeste Landstraße entlang. Dabei kippen sie vielfältige alkoholische Getränke. Anders als sonst gibt es bei diesem Spiel weder Gewinner noch Verlierer. Die Kugel rollt immer weiter, bis der Schnaps alle ist oder die Spieler von einer Brücke fallen oder die Landstraße an einem Deich endet oder der Frühling kommt.
Ibiza
Meine ganze Familie freute sich auf den bevorstehenden Urlaub. Über Pfingsten hatten wir zehn Tage auf Ibiza gebucht. Auf dem kleinen Foto im Reiseprospekt sah unsere Ferienoase nicht übel aus: ein kinderfreundlicher Club namens »Gala Pala« mit hauseigenem Strand, unzähligen Sportangeboten, Kinderbetreuung und Minidisko jeden Tag. Was braucht man mehr? Nur meine Frau machte sich ein wenig Sorgen des Fluges wegen. Von ihrer Flugangst geplagt, suchte sie sogar nach alternativen Möglichkeiten, um Gala Pala zu erreichen.
»Irgendwie haben es die Menschen früher doch auch geschafft, in den Urlaub zu fahren, ohne ein Flugzeug zu besteigen. Sie sind zum Beispiel mit Titanics rübergeschwommen.«
»Aber Liebling«, entgegnete ich, »die Zeiten sind längst vorbei, es gibt keine Titanic-Strecke nach Gala Pala. Selbst wenn es sie gäbe, würde allein die Fahrt dorthin mindestens zwei Wochen dauern, und wir haben nur zehn Tage Zeit!«
Meine Frau ging zum Allgemeinmediziner und erkundigte sich nach einem wirksamen Mittel gegen Flugangst. Der Arzt nahm eine große gelbe Packung vom Regal.
»Ich möchte Ihnen dies hier empfehlen, das nehme ich selbst immer mit auf die Reise. Direkt vor dem Abflug eine Pille schlucken, danach dürfte ihnen alles egal sein.«
Er klang überzeugend. Kurz vor dem Abflug nahm meine Frau eine Tablette aus der gelben Packung. Ich nahm gleich zwei – aus Solidarität. Das Zeug schien tatsächlich zu funktionieren, die Konzentrationsfähigkeit ließ sofort nach. Unsere Kinder, die medikamentfrei flogen, zappelten die ganze Zeit herum, mal wollten sie malen, dann aufs Klo, dann etwas trinken. Uns war alles egal. Nach zwei Stunden landeten wir auf Ibiza. Der Bustransfer zum Hotel dauerte fast länger als unser Flug. Wir versuchten, die Tabletten, die ursprünglich gegen die Flugangst bestimmt waren, auch gegen den Bustransfer einzusetzen. Es funktionierte. Der Bus fuhr rauf und runter, rauf und runter, hielt vor jedem kleinen Hotel auf der Insel und brachte eine Rentnergruppe zum örtlichen Hafen, wo sie auf eine kleine Titanic in Richtung Formentera umgelagert wurde. Die restlichen Touristen nervten den Busfahrer mit Fragen: Warum Gala Pala Gala Pala heiße, und wann man endlich dort sei. Uns war alles egal, auch wenn unsere gebuchte Ferienoase sich als die letzte Busstation erwies.
Gleich am ersten Tag mussten wir die Erfahrung machen, dass im Reiseprospekt nicht die ganze Wahrheit über diesen Club
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