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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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teurer Topf«, tröstete sich mein Vater, »immerhin ist es Handarbeit!«
    Seitdem sah man ihn kaum noch in der Wohnung, man hörte ihn nur im Keller arbeiten – und schimpfen. Die Fotos von seinen Erzeugnissen sollten auf Kinderspielplätzen aufgehängt werden; mein Vater war nämlich der Meinung, dass die Kinder auf seine Produkte besonders scharf wären. »Ein Tannenbaum in der Wohnung, das ganze Jahr über? Dann werde ich vielleicht auch jeden Tag aufs Neue Geschenke bekommen.« So würden die Kinder denken und ihre Eltern dazu bringen, die Weihnachtstöpfe meines Vaters zu kaufen, dachte er. Ich sollte mir für diese Fotos schon mal einen lustigen Werbespruch ausdenken. Den halben Tag verbrachte ich damit, etwas Passendes für die Produkte meines Vaters zu entwickeln, doch mir reichte es schon, das Wort »Tannenbaum-Weihnachtstopf« zu Papier zu bringen, schon brach ich in Tränen aus. Vor Lachen. Eigentlich ist mit diesem einen Begriff bereits alles gesagt, dachte ich und ergänzte ihn nur um das Wort »preiswert«. Dazu schrieb ich noch seine Telefonnummer auf, und fertig war die Annonce. Mein Vater machte inzwischen Werbung auf eigene Faust. Er stellte den fertigen Topf im Hinterhof seines Hauses auf, um die Nachbarn zu beeindrucken. Damit keine Missverständnisse entstanden, schrieb er mit gelber Farbe »Tannenbaum-Weihnachtstopf Nr. l« drauf. Die Zahl sollte bei den Nachbarn den Eindruck erwecken, er habe noch viel mehr davon auf Lager.
    Doch die Nachbarn meines Vaters schienen allesamt Analphabeten zu sein. Sie hielten seine Erfindung für einen neuen Mülleimer, extra vom Weihnachtsmann dort abgestellt, und über Nacht war der Tannenbaum-Weihnachtstopf Nr. l voll. Auch vom Kinderspielplatz rief keiner an. Meinem Vater dämmerte langsam, dass er möglicherweise etwas erfunden hatte, das nicht jeder haben wollte. Er gab aber nicht auf. In der kostenlosen Bezirkszeitung las er, dass in Pankow eine Werkstatt aufgemacht hatte, in der ältere Menschen Starenkästen bauen konnten. Danach betrachtete er sein Erzeugnis noch einmal etwas genauer, kippte es und stellte fest, dass es eigentlich ein Starenkasten war – nur eben für extrem große Vögel. Für Strauße zum Beispiel oder für eine Raben-Großfamilie.
    Er bat mich, sofort bei der Rentnerwerkstatt anzurufen und denen zu sagen, sie brauchten keine Starenkästen mehr zu bauen, er würde ihnen jederzeit welche zu einem angemessenen Preis liefern können.
    Ich weigerte mich. »Diese Menschen wollen die Starenkästen bauen, weil sie sich langweilen und nichts zu tun haben, es sind keine Geschäftsleute, so wie du!«, versuchte ich ihn aufzuklären. »Sie machen sich mit ihrer Arbeit eine Freude fürs Leben.«
    »Dann sind sie einfach verrückt!«, entgegnete mein Vater. »Das Leben ist doch unwichtig, wichtig sind nur geschäftliche Erfolge!«
    Ich schüttelte den Kopf und überlegte leise, ob mir mit siebzig auch so eine Vollmeise drohen würde.
    Nach einer Woche meldete sich mein Vater wieder bei mir – mit einer neuen Geschäftsidee. Er hatte anscheinend seine erste wirtschaftliche Niederlage gut verkraftet.
    »Die Kästen und Töpfe sind Schnee von gestern!«, verkündete er strahlend. »Ich habe mir etwas viel Clevereres ausgedacht. Wir machen also Folgendes: Ich schreibe dir jetzt hundert Briefe mit klugen Ratschlägen fürs Leben und werde so tun, als ob ich sie dir schon immer geschickt hätte, seit dreißig Jahren bereits. Und du veröffentlichst sie nach meinem Tod bei deinem Verlag unter dem Titel Die Briefe meines Vaters. Das wird bestimmt ein großer Erfolg! Die Gage dafür teilen wir dann: Zwei Drittel bekomme ich.«
    »Aber Papa, wozu brauchst du zwei Drittel, wenn du schon tot bist? Ein Drittel reicht da doch auch«, erwiderte ich.
    »Mann, Sohn, bist du blöd! Ich würde doch nur so tun, als wäre ich gestorben, verstehst du? In Wirklichkeit würde ich höchst lebendig auf Dingsda – Teneriffa, Lanzarote oder wie sie alle heißen … na dort irgendwo weitermachen!«
    Ich stellte mir vor, wie mein Vater auf Lanzarote weitermachte, in seiner Tischleruniform, die er nicht mehr ablegte, mit dem Hammer in der einen Hand und einer Säge in der anderen. Er wird dort Palmenblumentöpfe bauen, neue Bananensammelmaschinen entwickeln, alle Vulkane zubetonieren.

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