Ich mach mir Sorgen, Mama
gestanden hatte beziehungsweise einiges von uns falsch interpretiert worden war. Nirgendwo war zum Beispiel erwähnt gewesen, dass dieses Gala Pala ein traditioneller Schwabentreffpunkt war. Alle zweihundert Urlauber kannten sich untereinander, sie kamen jedes Jahr zu Pfingsten nach Gala Pala, um tagsüber Volleyball zu spielen, sich abends Transvestiten-Shows anzugucken und um überhaupt die schwäbische Sau unter der heißen spanischen Sonne rauszulassen.
Den hauseigenen Strand mit kostenlosen Liegen und Schirmen gab es in Gala Pala tatsächlich, nur befand er sich nicht am Meer, wo man ihn vermuten würde, sondern zwischen einem Fußball- und einem Tennisplatz: direkt unter unserem Fenster. Wie versprochen, hatten wir ein Zimmer mit Meerblick bekommen, leider konnte man vom Meer nichts sehen, weil ein anderes Gebäude davor stand. Unsere Medizin war alle, wir regten uns tierisch auf.
Die Tagesordnung in Gala Pala unterschied sich von der in anderen Ferienoasen nicht im Geringsten. Um achtzehn Uhr dreißig fing das Abendessen an. Schon um sechs versammelten sich die hungrigen Schwaben vor dem Restaurant. Als gut erzogene Europäer bildeten sie erst einmal eine hübsche Schlange am Eingang, und die Familienväter schickten ihre kleinen Kinder los, um die besten Plätze an den besten Tischen zu reservieren. Die Alleinstehenden kamen dafür als Erstes rein und verdrängten die frechen Kinder von den Tischen.
Das Abendessen in Gala Pala war auch eine Art Freizeitaktivität, vergleichbar mit Fußball oder Volleyball. Sinn dieses sportlichen Wettbewerbs war es, den besten Platz in der Schlange vor dem Büffet mit dem Gegrillten zu erobern, dann mit einer Hand immer neue Teller hervorzuzaubern und mit der anderen die besten Stücke an Familie und Freunde weiterzureichen. Die Gewinner bei diesem Wettbewerb waren immer dieselben: das dicke Mädchen mit dem Adlertattoo auf dem Rücken; der Mann mit dem Kaiser-Schnurrbart und der Seemannsmütze auf dem Kopf sowie seine Lebensgefährtin, eine kleine Zwei-Zentner-Frau in Bikini und Minirock; außerdem der allein erziehende Vater mit zwei Töchtern. Sie standen schon um halb sechs vor dem Restaurant stramm.
Wie ein Bienenschwarm flogen die Urlauber durch die Restauranträume. Die Kinder mischten Apfel- und Orangensaft, die Erwachsenen gossen Weine verschiedener Farben in große Karaffen. Nur leere Fässer und Schweineknochen blieben jedes Mal zurück. Ein richtiges Fest der Sinne für den, der es mag.
Nach dem Essen ging die Minidisko los: Superman, Agadoo und Weo-Weo. Als Abschlusslied wurde immer ein Titel der »Kiddys Corner Band« aufgelegt: »Wir fahren mit der großen Eisenbahn.« Die Kinder bildeten einen Zug, die Eltern einen Tunnel. Der Zug fuhr los und kam nicht wieder auf die Bühne. »Gute Nacht, Kinder, geht ganz schnell schlafen, wir müssen die Bühne für das Erwachsenenprogramm vorbereiten«, winkten die Animateure den Kiddys hinterher.
Dieses Erwachsenenprogramm mieden wir immer, weil wir die Reste davon noch nach Mitternacht von unserem Balkon aus beobachten konnten. Nur einmal wagten wir uns zur großen Travestie-Show – mehr aus Schadenfreude als aus Neugier.
Am Anfang war es ziemlich lustig. Der Animateur Sven zog sich Frauenschuhe mit hohen Absätzen, ein Frauenkleid und eine Perücke an. Dabei jonglierte er mit Biergläsern und sang ein mir unbekanntes Lied. Die Animateurin Lisa zog sich Männerklamotten an und tanzte Flamenco. Die Zuschauer amüsierten sich über alle Maßen.
Danach tanzten die am meisten enthusiasmierten Aktivurlauber. Es waren die Gewinner bei den Abendessen. Der allein stehende Vater tanzte mit der Animateurin Lisa, der Seemann-Bart mit dem Minirock, das dicke Mädchen mit dem Tattoo auf dem Rücken kreiste um sich selbst. Die Familienväter und
-mütter gingen schlafen. Die allein stehenden Männer blieben und bildeten eine Reihe an der Theke. Sie sammelten erotische Erlebnisse für die Nacht und hofften, dass noch etwas passieren würde: dass die Animateurin Lisa noch einmal Flamenco tanzte, dass die Zwei-Zentner-Frau im Minirock ihren Seemann verließ oder ein weiteres Mädchen mit Tattoo auf dem Rücken auftauchte, vielleicht sogar zwei. Es passierte aber nichts mehr. Irgendwann machte der Animateur Sven die Musik aus, und die Tänzer gingen nach Hause. Sie mussten früher als die anderen aufstehen, um die Frühstücksschlange zu organisieren. Die Alleinstehenden an der Theke schauten ihnen traurig hinterher.
Am
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