Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
würde das zu dir sagen.«
»Das bisschen, was ich weiß, habe ich von meinem Lehrer Sorel.
›Was wollen Sie werden?‹, hat er mich gefragt. ›Diplomat? Haben Sie ein großes Vermögen?‹
›Nein.‹
›Können Sie mit einer gewissen Glaubwürdigkeit ein Adelsprädikat vor Ihren Familiennamen setzen?‹
›Nein.‹
›Dann verzichten Sie auf die Diplomatie.‹
›Und was soll dann aus mir werden?‹
›Ein Neugieriger. Das ist zwar kein Beruf, aber es wird bald einer sein. Machen Sie Reisen, schreiben Sie, übersetzen Sie. Sie müssen lernen, überall zu leben. Beginnen Sie sofort damit. Dem Neugierigen von Beruf gehört die Zukunft. Die Franzosen haben zu lange innerhalb ihrer Grenzen vegetiert. Darum werden Sie immer Zeitungen finden, die Ihre Eskapaden bezahlen.‹«
Als der Darsteller fertig ist, steht Guido auf und drückt auf »Pause«.
»Du musst natürlich ›Franzosen‹ durch ›Italiener‹ ersetzen, aber sonst passt es doch genau, oder?«, fragt er mich mit einem jungenhaften Grinsen im Gesicht.
»Ja, irgendwie schon.«
»Du bist genauso, du bist neugierig, intelligent, deshalb darfst du das nicht aufgeben.«
»Ach, Guido, ich weiß nicht, ich bin mir nicht mehr sicher, ob das der richtige Weg für mich ist … Außerdem fehlt mir genauso ein klingender Nachname zum Angeben.«
»Ich kann dir ja meinen geben«, sagt er, ohne sich bewusst zu sein, wie missverständlich das klingt.
»Ist das etwa ein Heiratsantrag?«, frage ich, um ihn aufzuziehen.
»Ja, Alice, willst du mich heiraten?«, fragt er mich und lacht laut los.
»Na, auf jeden Fall vielen Dank«, antworte ich und führe die Unterhaltung wieder in unverfänglichere Bahnen. »Du bist sehr nett zu mir.«
»Ich bemühe mich«, sagt er verlegen. Dann hebt er plötzlich den Kopf und sieht mich an. »Ich bemühe mich um dich , Alice. Inzwischen hast du das wohl mitbekommen, oder nicht?«, fragt er mich.
»Hmm, ja.«
»Ich mag dich gern, Alice, obwohl ich fürchte, dass dein Herz noch nicht frei ist. Ich weiß nicht, was du denkst, ich weiß nicht, was du willst, ich weiß nicht, was zwischen dir und … ihm noch ist. Aber jetzt habe ich es klar und deutlich ausgesprochen. Denk darüber nach.«
Ich bin ganz geplättet von seiner unvermittelten Liebeserklärung.
»Ja, also, es ist …«, stottere ich.
»Ich will jetzt keine Antwort von dir«, unterbricht er mich. »Na ja, irgendwann schon, aber …«
Wir sehen den Film zu Ende, den ich in meiner geistigen Videothek klar abspeichere unter der Rubrik »auf keinen Fall anschauen, wenn man gerade eine Beziehungskrise durchmacht und dabei zwei Jungs im Spiel sind, zu denen man sich auf unterschiedliche Weise hingezogen fühlt«.
Später, als wir uns an der Wohnungstür voneinander verabschieden, geht mir seine Liebeserklärung immer noch nicht aus dem Kopf. Ich frage mich, ob ich ihm jetzt schon eine Antwort geben könnte. Tatsache ist, dass in mir zwei Antworten miteinander kämpfen, die beide richtig sind, aber einander widersprechen.
»Ich hätte dir Jules und Jim besser nicht gezeigt, oder?«, fragt er mich, als er bemerkt, wie abwesend ich bin.
Ich lächle, obwohl ich ihm wegen des Filmendes am liebsten »Da hast du völlig recht, du bescheuerter Trottel!« ins Gesicht schleudern würde.
»Habt ihr denn gar keinen Weihnachtsbaum?«, frage ich stattdessen. Wenn mich eine Sache zu sehr beschäftigt, stelle ich manchmal die unmöglichsten Fragen. Und tatsächlich lacht er laut.
»Nein, warum?«
»Eure Wohnung ist kein bisschen weihnachtlich geschmückt.«
»Wir feiern Weihnachten nicht.«
»Was?«
»Wir glauben nicht an Gott und deshalb feiern wir kein Weihnachten.«
»Aber Weihnachten … ist doch ein Fest für alle, oder?«
»Es ist der Geburtstag von Jesus, noch dazu wurde der nach hinten verschoben. Inzwischen steht fest, dass er nicht am fünfundzwanzigsten Dezember zur Welt kam. Und wenn du nicht mal an ihn glaubst, wäre es doch absurd, den Tag zu feiern, oder?«
»Und was macht ihr dann?«
»Meine Eltern gehen normalerweise ins Kino und ich … Das kommt darauf an, manchmal komme ich mit, ansonsten bleibe ich zu Hause.«
»Wow.«
69 Luca
Sobald das Flugzeug vom Boden abhebt, spüre ich, wie sich eine plötzliche Ruhe in meinem ganzen Körper ausbreitet. Mir steht eine ungefähr achtzehnstündige Reise bevor, einschließlich einer Zwischenlandung in Amsterdam. Das heißt, ich weiß zur Abwechslung mal ganz genau, was mich in den nächsten Stunden
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