Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
erwartet. Ich kann mir einen Film aussuchen, in regelmäßigen Abständen wird mir etwas zu essen serviert, ich werde mehrere Stunden im Flughafen von Amsterdam verbringen, während ich auf den Anschluss nach Mailand warte, dann werde ich ein Flugzeug besteigen, das mich nach Malpensa bringt, dort nehme ich den Zug nach Cadorna und dann steige ich in die U-Bahn, die mich bis vor die Haustür fährt. Und dort beginnen dann die Probleme …
Und genau das ist der Punkt. Ich hätte gerne, dass mein Leben so wie diese Reise verliefe. Eine Strecke von festgelegter Dauer mit ein paar fixen Variablen, die man je nach Bedarf wählen kann. Das wäre herrlich! Vorausgesetzt, einem wird beim Fliegen nicht schlecht und man hat keine Angst davor, ins Meer zu stürzen. Aber das Leben, zumindest meines, hat so gar nichts von einem Langstreckenflug. Es gibt keine lächelnden Stewardessen, kein klares Ziel, der Pilot ist höchstwahrscheinlich besoffen oder hat seinen Flugschein im Internet gekauft, und auf den Flughäfen wimmelt es von den unmöglichsten Leuten, die keine Ahnung haben, wohin die Reise gehen soll.
»Wann kommen wir in Amsterdam an?«, fragt mich das Mädchen neben mir.
»Um sechs Uhr dreißig Ortszeit«, antworte ich fest überzeugt, aber dazu muss ich kein Genie sein, das steht auf dem Ticket. Es ist alles so einfach. Ja, ich möchte wirklich, dass mein Leben so verliefe wie eine Flugreise.
Das Mädchen neben mir heißt übrigens Dalila. Ich habe sie in San Francisco kennengelernt, als ich sie eines Abends vor den Übergriffen eines Betrunkenen gerettet habe. Sie arbeitet als Tänzerin in einem Lokal, aber ihre wahre Leidenschaft gilt der Musik. Ich hab ihr und ihrer Band geholfen, ein Konzert zu organisieren, und jetzt kommt sie mit mir nach Mailand, wo sie, so unglaublich das auch klingen mag, noch nie gewesen ist.
Das ist die Version, die ich einem Fremden erzählen würde oder einem entfernten Bekannten.
Eigentlich liegen die Dinge deutlich komplizierter.
Als wir in die dicke Wolkendecke über San Francisco eintauchen, wird das Flugzeug etwas durchgerüttelt. Dalila packt meine Hand und drückt sie fest.
»Hey, alles in Ordnung?«, frage ich sie.
»Ich habe Flugangst.«
»Das brauchst du nicht. Es ist völlig normal, wenn es beim Start ein paar Turbulenzen gibt.«
Das Flugzeug sackt etwas ab und eine Klappe über uns öffnet sich, ein Trolley fällt heraus und landet auf dem Kopf eines Passagiers. Ein kleines Mädchen weiter vorne fängt an zu weinen, während Dalila immer noch krampfhaft meine Hand drückt.
Im Gegensatz zu ihr bin ich die Ruhe selbst. Und das nicht nur, weil es sich um normale Turbulenzen handelt, sondern auch, weil ich weiß, wenn jetzt etwas schiefgehen sollte und wir ins Meer stürzen, würde das keiner von uns überleben. Mit anderen Worten (ich stelle mir immer noch mein Leben wie einen Flug vor), wir haben keine Kontrolle über die Situation, und deswegen gibt es auch überhaupt keinen Grund, sich aufzuregen.
Doch die Frage lautet jetzt: Wer steuert das Flugzeug?
Die alte Frau vom Red Vic hat recht. Man sollte sich auf die Fragen beschränken. Wenn ich jetzt versuchen würde, zu benennen, wer am Steuer des Flugzeugs sitzt, würde ich bloß ein paar schreckliche Banalitäten von mir geben (das Schicksal? Gott? Ach, hör auf …).
Das Flugzeug liegt jetzt wieder ruhig in der Luft, und auf dem kleinen Monitor über unseren Köpfen erscheint das Zeichen, dass man die Sicherheitsgurte öffnen darf. Noch so etwas, das es blöderweise im Leben nicht gibt (hey, was ist denn mit dir los? Ach, nichts, ich wollte gerade meine Freundin betrügen, aber zum Glück ist nichts passiert, ich hatte ja den Sicherheitsgurt um).
»Woran denkst du gerade?«, fragt mich Dalila und lässt meine Hand los.
»An dummes Zeug. Dass ich es toll fände, wenn das Leben wie eine Flugreise verlaufen würde.«
»Du meinst, den ganzen Tag nur dumm rumsitzen und widerlichen Fraß zu essen bekommen?«
»Na ja, das kommt darauf an, wie man es betrachtet. Es gibt auch ein paar schöne Filme, die man sich angucken kann.«
»Ach so, ja dann …«, erwidert Dalila, dreht sich weg und schaut aus dem Fenster.
Wir überfliegen einen kleinen weißen Wolkenteppich, in den eine orangefarbene Sonne am Horizont versinken will.
»Bist du sicher, dass ich bei dir wohnen kann?«, fragt mich Dalila.
»Klar, ich hab dir doch schon gesagt, dass das kein Problem ist. Aber du musst dich mit der Ausziehcouch
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