Ich mag dich wie du bist
sauer?«
»Ja schon, aber eher nervös als sauer. Er hat sich die doppelte Ration Tüten reingezogen, und dann ist er irgendwohin verschwunden.«
»Was heißt denn irgendwohin?«
»Ich war mit Martina und Roby zusammen und er hat gesagt, dass er noch mal kurz unterwegs ist. Dann ist er nicht mehr ins Zelt zurückgekommen, auch heute Morgen war er nicht da.«
»Hmm.«
»Wie auch immer, die Party findet bei Mary statt, ein richtig großes Ding, es kommen ein Haufen Freunde von ihr hier aus Lecce, und wie es aussieht, feiert sie richtig im großen Stil, dass sie volljährig wird.«
»Und wann willst du fahren?«
»In ein paar Tagen, ich weiß es noch nicht genau. Mal abgesehen von meiner Mutter dachte ich sowieso, dass ich mich besser auf den Weg machen sollte.«
»Aber du bleibst zur Party?«
»Na sicher, die Party ist morgen Abend.«
Wir laufen in der Dämmerung am Meer entlang. Irgendwann erkenne ich die Stelle, an der Martina und ich uns zu Beginn der Ferien in jener Nacht begegnet sind und ich schlage Luca vor, auf demselben Felsen haltzumachen.
»Hier habe ich Martina das erste Mal getroffen, na ja, außer im Chiringuito«, sage ich, als wir uns hinsetzen, »da hat sie geweint und ich auch, und so sind wir ins Gespräch gekommen.«
»Sie steckt voller Ängste. Sie ist nett, auch intelligent, aber sie wirft sich weg.«
»Ich habe ihr von Harry Potters Zauberspruch gegen Ängste erzählt, dem Ridiculus , sie war total begeistert.«
»Ach so, deshalb war sie in den letzten Tagen besser drauf, das erklärt alles.«
Luca öffnet die beiden Flaschen mit dem Feuerzeug und reicht mir eine. Er versucht nett zu sein, gibt sich richtig Mühe, die Unterhaltung nicht zu ernsthaft werden zu lassen. Aber der Ton meiner Stimme ist dabei nicht gerade hilfreich.
»Prost«, sagt er, »wie in alten Zeiten.«
»Prost«, wiederhole ich mechanisch, ehe mich bei diesen vier Worten die Traurigkeit überrollt wie eine Dampfwalze: Wie in alten Zeiten.
Meine Augen sind feucht und ich habe einen Kloß im Hals. Ich muss plötzlich an den Traum denken, wie alle meine Freunde und Verwandten an mir vorüberziehen und mich nicht sehen. Und ich fühle mich wie in diesem Traum, die Dinge, die Menschen gleiten an mir vorüber und ich verliere sie. Ich kann ein Schluchzen nicht unterdrücken, aber ich versuche, es mit einem Hustenanfall zu überspielen.
»Ali, ist alles in Ordnung?«
»Ja, nein …«
»Was denn nun?«
»Was denkst du?«
»Also stimmt Antwort C.«
Ich muss jetzt einfach losheulen, als könnte ich damit beweisen, dass Martina und ich eigentlich überhaupt gar keine Probleme haben, sondern alles nur an diesem dämlichen Felsen liegt. Ich vermisse Lucas Blödeleien (denn ich weiß genau, dass das mit Antwort C wieder eine seiner Theorien ist), mir fehlt dieser ganze Quatsch, der nur für mich bestimmt war. Und ich vermisse Mailand, mein Leben dort und all das, was mich ausmacht, einschließlich der Probleme. Denn hier fühle ich mich zwar wohl, oder besser gesagt, ich habe mich wohlgefühlt, aber so langsam verliere ich mich, die Dinge um mich herum haben zu wenig mit mir zu tun und ich habe das dringende Bedürfnis, mich und meine Probleme in den Dingen wiederzuerkennen.
Und deshalb heule ich.
Luca legt mir eine Hand auf den Rücken.
»Hey, was ist denn?«
»Ich kann das nicht mehr.«
»Willst du mir das erklären?«
»Nein«, sage ich und wische mir die Tränen ab, »ich möchte wissen, wie Antwort C lautet.«
»Das ist fast immer die richtige, aber nur fast. Willst du wirklich, dass ich dir das jetzt erkläre?«
»Ja.«
»Na gut, du hast es so gewollt. Wenn wir über etwas nachdenken, konzentrieren wir uns im Prinzip immer auf zwei Möglichkeiten: ja oder nein, rechts oder links. Auch dann, wenn es eigentlich um mehrere Punkte geht, fällt die eigentliche Entscheidung nur zwischen zwei Möglichkeiten. Wenn du dich fragst, ob du glücklich bist, antwortest du spontan mit Ja oder Nein, denn das scheinen dir die einzig möglichen Antworten auf eine solche Frage. Oder wenn du entscheiden musst, in welches Land du gehen möchtest. Erst mal wirst du so einige Möglichkeiten in Erwägung ziehen, aber ziemlich bald versuchst du dann, die Auswahl auf zwei Möglichkeiten einzugrenzen. So funktioniert unser Gehirn, es dreht durch, wenn es mehr Möglichkeiten hat. Sag mir einfach, wenn ich dich langweile, dann höre ich auf.«
»Nein, nein, red weiter.«
»Also, wenn ich dich frage, ob alles in Ordnung ist, kann
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