Ich mag dich wie du bist
die Antwort nicht Ja sein, weil du heulen musstest und es mit einem Hustenanfall überspielen wolltest … aber es kann auch kein Nein sein.«
»Warum?«
»Weil man uns beigebracht hat zu denken, dass alles in Ordnung ist, wenn du glücklich bist, wenn du lächelst, wenn du Spaß hast, und dass alles andere nur ein Umweg dahin ist, wenn du weinst, ist es so, wenn du traurig bist, wenn du jemanden liebst und deine Liebe nicht erwidert wird, alles ein Irrweg … Aber das kann es doch nicht sein.«
»Und was glaubst du?«
»Ich weiß es nicht. Nicht mal ich …«
Die Worte verhallen in der Stille, und plötzlich bleiben wir so sitzen, Seite an Seite, während das Rauschen der Wellen im Hintergrund immer lauter wird.
Nein, das war keine seiner üblichen Theorien.
Oder vielleicht am Anfang, aber dann hat seine Erklärung eine andere Richtung genommen und ich frage mich, ob ich den Sinn dieser Worte begriffen habe. Wenn es überhaupt einen Sinn gibt. Denn alles, was er erzählt hat, stimmt, oder besser gesagt, ich bin derselben Meinung, mir gefällt, wie er denkt, aber gleichzeitig ist alles falsch. Worte, nichts als Worte, Erklärungen und Rechtfertigungen, sie funktionieren großartig für alles Mögliche, aber offensichtlich doch nicht für alles, oder zumindest nicht jetzt.
»Ali, hör mal, ich weiß, dass mein Besuch hier etwas schräg war.«
»Ja, das war er.«
»Trotzdem bin ich froh, dass ich gekommen bin, auch wenn wir dann doch nicht allzu viel Zeit gemeinsam verbracht haben.«
»Ja, das stimmt.«
»Du warst ja mit dem Rastafari zusammen.«
»Und du mit der Philosophin beschäftigt.«
Luca senkt den Kopf und lächelt.
»Okay, ich erwarte ja gar nichts von dir. Aber eins sag ich dir: Wenn wir wieder in Mailand sind, will ich meinen Lebensberater wiederhaben, und das ist deine Aufgabe.«
»Allzeit bereit …«
Achtundsiebzig
Langsam stirbt der,
der ein Projekt schon aufgibt, bevor er es beginnt,
der keine Fragen stellt zu Themen, die er nicht kennt,
der nicht antwortet, wenn man ihn nach etwas fragt, das er weiß.
Ich schlafe wie ein Stein, so tief habe ich seit Ferienbeginn nicht mehr geschlafen, und als ich aufwache, fühle ich mich gut, unglaublich gut. Obwohl sich nichts verändert hat. Ich habe mich nicht mit meiner Mutter ausgesprochen, ich habe nichts von Daniele gehört, aber ich fühle mich stärker und klarer im Kopf.
Vor einiger Zeit habe ich mal im Fernsehen einen Beitrag gesehen, in dem man erklärte, dass für einige Patienten mit schweren psychischen Problemen eine Schlafkur die geeignete Therapie sein kann. Das heißt, man wird für längere Zeit – wie lange genau weiß ich nicht mehr, aber es war ganz schön lange – in Schlaf versetzt, damit das Gehirn sich erholen kann. Das ist so, als würde man den Reset-Knopf drücken und noch einmal von vorne beginnen. Und genauso fühle ich mich heute Morgen, es kommt mir vor, als hätte ich eine Woche lang geschlafen und ich bin bereit, wieder ganz von vorn anzufangen, ich spüre in mir die innere Kraft, mich dem kommenden Tag zu stellen. Vielleicht wird Schlaf ja unterschätzt, vielleicht sollte man sich viel öfter mal richtig ausschlafen.
Der Tisch vor dem Wohnwagen ist mit Papier bedeckt. Mein Großvater und mein Bruder sitzen nebeneinander. Als Fede mich bemerkt, verzieht er angespannt das Gesicht und seine Augen sind zu schmalen Schlitzen verengt.
»Fede, geht es dir gut?«
Er antwortet mir nicht, sondern dreht sich zu meinem Großvater.
»Du musst sie halb zukneifen, nicht ganz schließen, dabei sollten sich deine Wimpern berühren.«
»Aber dann sieht man ja alles verschwommen.«
»Genau so sollst du ja sehen.«
Ich gieße mir den restlichen Kaffee aus der Espressokanne ein und setze mich an den Tisch. Mein Bruder sieht sich weiter mit halb zusammengekniffenen Augen um.
»Was macht ihr?«
»Großvater bringt mir bei, zu sehen.«
»Na ja, ich meine, in deinem Alter wird es auch langsam Zeit.«
»Nein, nicht nur hingucken und das war’s, sondern zu sehen fürs Zeichnen.«
Mein Bruder hat immer noch Schwierigkeiten, am frühen Morgen Ironie zu erkennen.
»Und wo liegt da der Unterschied?«
»Um Dinge malen zu können, musst du sie mit geschlossenen Augen betrachten, so kannst du sie zwar nur schlecht erkennen, aber das ist besser so.«
Ich sehe meinen Großvater fragend an.
»Das stimmt schon so ungefähr«, erklärt er, »versuch es doch auch einmal.«
Mein Großvater kneift die Augen zusammen und ich
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