Ich mag dich wie du bist
Blick.
»Also, was ist das Schlimme bei dir?«
»Hmm, meine Mutter würde es wohl nicht einmal merken, wenn ich mir am Tisch einen Joint anzünden würde. Sie lebt in ihrer Welt und ich in meiner und wir wohnen zusammen wie zwei Freundinnen, die einander nicht mehr mögen, mal ignorieren wir uns einfach, mal wünschen wir uns gegenseitig zum Teufel. Also, zumindest ich wünsche sie zum Teufel …«
In Situationen wie diesen müsste es auch für Nichtraucher etwas geben, das sie als Zeichen ihrer Anteilnahme anbieten können. Aber ich rauche nun mal nicht und so habe ich nichts, was ich ihr anbieten könnte. Deshalb drehe ich mich noch ein bisschen mehr zu ihr hin, damit ich aufmerksam und anteilnehmend wirke.
»Und jetzt hat sie diesen neuen Freund«, erzählt Martina weiter. »Ach ja, meine Eltern sind geschieden, aber das ist schon so lange her, also kein Problem. Marco, er heißt Marco, ist mit uns im Urlaub. Er ist zehn Jahre jünger als sie und hat auch viel weniger Geld. Natürlich zahlt immer meine Mutter, diese Dinge bedeuten ihr nichts. Und der Typ ist wirklich das Letzte. Er hängt den ganzen Tag nur rum. Abends zieht er sich Kokain rein, auch wenn er allein im Haus ist. Und wenn ich dann nach Hause komme und er völlig zugedröhnt ist, kommt er zu mir. Wenn er gut drauf ist, benimmt er sich nur wie der letzte Wichser und baggert mich an, wenn er schlecht drauf ist, beschimpft er mich.«
Mein Gesicht muss ganz deutlich meine Verwirrung zeigen und eine Art allgemeine Wut auf alle Wichser dieser Welt. Martina bemerkt vermutlich meine gerunzelte Stirn und lächelt.
»Heute Abend war er wütend. Ich kam von der Arbeit zurück, wo ich übrigens nur hingehe, um so lange wie möglich aus dem Haus zu sein, also, ich brauche das Geld überhaupt nicht, aber das weißt du vielleicht, in der Schule wird schließlich geredet … na gut, ich komme also zurück und er sitzt in Unterhosen am Rand des Swimmingpools. Hallo, sage ich, und er antwortet mir nicht. Also gehe ich an ihm vorbei und will in mein Zimmer. Da packt er mich am Arm und brüllt: ›Tu doch nicht so unschuldig, was denkst du dir dabei, um diese Zeit nach Hause zu kommen?‹ Tja, der war bis oben hin voll mit Koks, es hatte keinen Zweck mit ihm zu reden, also bin ich stur weitergegangen, während er mich mit Beschimpfungen überschüttet hat …«
Alles, was ich sagen möchte, bleibt mir sofort im Hals stecken, Sätze wie: »Aber du musst es deiner Mutter erzählen!«, »Was sagt dein Vater dazu?« oder »Gibt es denn niemanden, der …«
»Jetzt habe ich gegen die Spielregeln verstoßen«, sagt Martina lächelnd. »Ich habe etwas zu Schlimmes erzählt.«
Einen Moment lang weicht der Sarkasmus aus ihrem Gesicht und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Diesmal umfasse ich ihre Taille und streiche ihr über die Seite.
»Was kann ich deiner Meinung nach tun?«, fragt sie mich beinahe unhörbar.
Ich öffne den Mund, will etwas sagen, irgendetwas, aber sie unterbricht mich.
»Entschuldige, das hätte ich nicht fragen sollen, vergiss es.«
»Komm, lass uns ein paar Schritte gehen«, sage ich und stehe auf.
Sie sieht mich zweifelnd an.
»Wir müssen laufen.«
»Warum?«
»Man muss laufen, wenn man keine Worte mehr hat. Der Körper weiß schon, was er braucht, du musst nur laufen, dann sorgt er für den Rest.«
»Und woher hast du diese Weisheit?«, fragt sie und hat sowohl ihr Lächeln als auch ihre Ironie wiedergefunden.
»Das ist ein Grundsatz von einem Freund, also eigentlich nicht von ihm, sondern von Khalil Gibran.«
»Und wie lautet sie im Original?«
»Mehr oder weniger so: Der Körper weiß schon, was er braucht, nur möchte der Kopf das ab und zu laut hören.«
Sie bleibt einen Augenblick stehen, um über diesen Satz von Gibran nachzudenken, und bewegt dabei lautlos die Lippen, als würde sie ihn sich stumm wiederholen.
»Das ist einer der Grundsätze, mit denen er immer kommt, wenn ich down bin, aber er hat einen ganzen Vorrat davon, er könnte glatt ein ganzes Buch darüber schreiben.«
»Nicht schlecht, der Spruch gefällt mir«, sagt sie zufrieden. »Und wer ist dieser Freund?«
Ich finde nicht gleich die richtigen Worte, um ihr zu antworten. Denn ich muss an meinen Streit mit Luca denken und wie er mir an den Kopf geworfen hat, dass ich den anderen nicht zuhöre. Einen Moment lang entferne ich mich mental von diesem Strand, lege einen kurzen Stopp auf dem Campingplatz ein, um etwas anderes anzuziehen, und nehme dann das
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