Ich mag dich wie du bist
schon alles vorbei sein könnte. Aber meine Worte verraten mich: was »alles«? Was könnte vorbei sein, wenn doch eigentlich noch nichts begonnen hat?
Ich muss kurz an den Jungen aus meiner Schule denken, in den ich vor zwei Jahren rettungslos verknallt war, an seine Augen, an seine Stimme und daran, wie ich rumgeheult und ihm aufgelauert habe. So etwas will ich nicht wieder erleben. Ich habe einen Jungen geküsst, okay, das war’s, und damit ist es gut. Doch eine Stimme in meinem Hinterkopf flüstert mir zu, dass überhaupt nichts gut ist.
Fünfundfünfzig
»Die Haushälterin hat alles für uns vorbereitet, wir müssen uns nur noch hinsetzen.«
Der Tisch, an dem Daniele und ich gegessen haben, ist sorgfältig für zwei Personen gedeckt, aber ich fürchte, hier war nicht eine gewissenhafte Haushälterin am Werk, sondern die Ironie des Schicksals höchstpersönlich.
Wir betreten das Haus und Martina geht Richtung Küche (also genau dahin, wo sie uns am Morgen überrascht hat) und holt eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank.
»Nur ein Glas heute Abend, sonst kipp ich wieder um«, sagt sie augenzwinkernd. »Aber sag mal, wie war es eigentlich bei dir?«
»Eigentlich gut, also, ich hatte auch etwas getrunken und das bin ich nicht gewohnt, aber bei mir war alles in Ordnung. Als das Chaos losging, hatte ich sofort wieder einen klaren Kopf.«
»Ich erinnere mich an gar nichts …«
»Das ist auch besser so, oder nicht?«
»Das kommt drauf an, dieses Mal ist ja nicht allzu viel passiert, aber wenn du halbnackt in einem fremden Bett aufwachst, ist das nicht gerade toll.«
»Nein, sicher nicht.«
»Na, diesmal ist ja nichts passiert.«
Hmm, »nichts passiert« würde ich das nicht gerade nennen, aber ich glaube nicht, dass ich darauf herumreiten sollte.
»Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann mit diesem Typen getanzt habe und dass ich meinen Spaß hatte, aber dann bin ich ihn nicht mehr losgeworden, und plötzlich drehte sich alles. Und danach Blackout.«
»Du hast ihn vollgekotzt, Mary hat uns geholt und dann, na ja, den Rest wird man dir wohl erzählt haben. Daniele und der Typ haben sich geprügelt und wir haben dich hierhergebracht.«
Während ich rede, wird mir klar, dass Martina vielleicht wirklich nicht weiß, wie sich der Abend entwickelt hat beziehungsweise was zwischen Daniele und mir passiert ist. Und nun wird es wohl Zeit, dass ich ihr alles erzähle. Aber irgendwie fürchte ich mich davor. Ich habe Angst, es könnte sie irgendwie stören, dass ich ihren Freund geküsst habe. Dabei denke ich gar nicht so sehr an das, was nach Danieles Worten nur eine kurze Affäre zwischen den beiden gewesen ist. Aber trotzdem habe ich leichte Gewissensbisse. Schließlich habe ich es Martina zu verdanken, dass meine Ferien sich positiv entwickelt haben und dass ich jetzt ein paar Leute kenne, mit denen ich Spaß haben kann. Vielleicht hätte ich mich nicht gleich als Erstes an einen ihrer Freunde ranschmeißen sollen.
»Hör mal«, sage ich weitaus melodramatischer, als ich eigentlich vorhatte, »ich muss dir etwas sagen.«
»Was ist denn?«
»Es ist da was passiert … also, das war nicht so geplant und das … also, ich wollte nicht, dass es passiert, aber es ist einfach geschehen.«
»Alice, muss ich mir wegen irgendetwas Sorgen machen?«
»Nein, nein, nichts Schlimmes, zumindest hoffe ich das.«
»Gut, dann spuck’s schon aus. Habe ich damit zu tun?«
»Nein, nein, ich glaube nicht, na ja … du weißt doch, dass Daniele und ich dich gestern Abend hierhergebracht haben.«
»Bis hierhin weiß ich alles.«
»Dann haben wir dich aufs Sofa gelegt und du bist eingeschlafen und wir sind bei dir geblieben, um zu sehen, wie es dir ging, ob du aufwachst oder so.«
Martina schweigt jetzt.
Sie sieht mich aufmerksam an und wartet, dass ich endlich auf den Punkt komme.
»Wir sind bis zum frühen Morgen hiergeblieben. Daniele wollte dich nicht allein lassen, und ich wäre auf jeden Fall geblieben, aber ich war froh, dass er auch hier war, da habe ich mich gleich viel sicherer gefühlt. Wir haben geredet, er war immer noch ein bisschen durcheinander wegen der Schlägerei.«
Okay, mir wird klar, dass ich mit diesen Ausflüchten noch die ganze Nacht weitermachen könnte, ohne ihr irgendetwas zu sagen.
»Wir haben uns geküsst«, sage ich und füge eilig hinzu: »Mehr war nicht.«
»Ihr habt euch geküsst?«
»Ja.«
»Du und Daniele?«
»Hmm … ja, das war nicht geplant, aber ja.«
»Und du
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