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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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Verkehrsunfall ums Leben gekommen oder an einer Krankheit gestorben, sie hätten Tanja wenigstens noch einmal sehen können. Hans und Petra Bracht hatten aber nur das begraben dürfen, was Kroll von ihrer Tochter übrig gelassen hatte. Nicht nur der Körper ihrer Tochter war förmlich auseinander gerissen worden.
    Überlebenswichtiger seelischer Beistand kam nur von den Nachbarn und dem Pfarrer. Um Trauerfeier und Beerdigung bezahlen zu können, hatten die Brachts sogar einen Teil der Wohnzimmermöbel verkaufen müssen. Die Stadt Duisburg hatte nicht einmal eine Beileidskarte geschickt. Und dann standen noch jeden Tag reichlich Gaffer vor dem Haus und starrten zum Fenster hoch. Wenn sich jemand zeigte, wurde laut gerufen: »Da sind sie!« Schon vier Tage nach der Ermordung Tanjas hatten ihre Eltern die Zeitung abbestellt – für sie war es unannehmbar und unerträglich geworden, permanent den Namen ihres Kindes und dessen Leidensgeschichte wieder und wieder nachlesen zu müssen.
    Tanja Brachts Eltern gelang es in den ersten Tagen und Wochen nicht, neue Hoffnung zu schöpfen oder perspektivisch zu denken. Wie sollten sie auch! Sie versuchte ihren Kummer in Alkohol aufzulösen, er schluckte Beruhigungstabletten. Über das Geschehene sprechen konnten sie nicht, weder miteinander noch mit anderen. Ihre Situation war unerträglich: Ein Lebensabschnitt war zerstört worden – und ein Neubeginn erschien nicht möglich.

43
                        
                       Was er getan hatte, war unermesslich grausam und abstoßend. Kroll hatte gestanden, ein vierjähriges Mädchen geschlachtet, teilweise gekocht und vom Fleisch des Kindes probiert zu haben. Ein gefundenes Fressen für die Journaille, die genau wusste, was jetzt zu tun war. Scharfmacher avancierten zu Scharfrichtern. Gnadenlos wurde der medizinisch noch nicht untersuchte und juristisch noch nicht überführte Joachim Kroll publizistisch seziert und der Öffentlichkeit häppchenweise als »Monster«, »Ungeheuer«, »Bestie«, vor allem aber als »Menschenfresser« serviert.
    Kroll und seine Opfer wurden nach allen Regeln der journalistischen Kunst ausgeschlachtet. Schlagworte wurden wie Totschläger benutzt. Der »Teufel« musste so schnell wie möglich exekutiert werden. Natürlich öffentlich. Als man über das »Scheusal« noch zu wenig wusste, hielt man sich zunächst an der kleinen Tanja Bracht schadlos. Neben ihrem übergroßen Foto stand in fetten Bild- Lettern: »Dieses kleine Mädchen erwürgt, zerstückelt und gekocht.« Drei Tage später wurde das ganze Land in Alarmstimmung versetzt: »Menschenfresser von Duisburg: sechs neue Opfer«.
    Tags darauf schockte Bild abermals seine Leser auf der Titelseite: »Menschenfresser tanzte mit nackter Liebespuppe«. Den Machern des Blattes war diese Belanglosigkeit acht Spalten wert. Dann folgte die Auflösung: »Der häßliche Mann mit der Stirnglatze und dem fliehenden Kinn preßte eine lebensgroße Sexpuppe an sich. Vom Plattenspieler dröhnte Egerländer Polkamusik. Der Mann hüpfte mit seiner aufblasbaren, nackten Bettgefährtin über den Korridor des Männerwohnheims in Duisburg. Tanzstunde beim Massenmörder Joachim Kroll.« Schließlich warf man der sich wohlig gruselnden Leserschaft noch ein paar schmackhafte Brocken hin, die Appetit auf mehr machen sollten: »Massenmörder von Duisburg: Immer kochte er Fleisch ...« Und: »Lebensgroße Kinderpuppen auf dem Bett – er würgte sie.«
    Auf der letzten Seite schließlich wurde den Lesern angedroht, das Bild- Schlachtfest werde erst richtig losgehen: »Am Montag beginnt die neue Serie über Joachim Kroll – wie er lebte und mordete.« Der 35-Pfennig-Zeitung mundete es – von Mal zu Mal besser. Und auch der im Rheinland und am Niederrhein erscheinende Express wollte ein Stück vom großen Kuchen. In der Fortsetzungsklamotte »Die Bestie vom Rhein« erfuhr man einfach alles: »Lesen Sie in der aktuellen EXPRESS-Serie, wie der Massenmörder lebte, wie er mordete, wie er 20 Jahre lang unerkannt blieb und wie er jetzt seine Untaten gesteht.«
    Immer dann, wenn Kroll wieder einen Mord zugegeben oder die Kripo zu einem Tatort gelotst hatte, wurden am nächsten Tag »sensationelle«, »schockierende«, »unglaubliche«, in jedem Fall aber »exklusive« Einzelheiten in den Lokalzeitungen und Boulevardblättern genussvoll ausgebreitet: »Lachend zeigte Kroll, wie er mordete«, »Am Tatort – sanft und liebevoll – noch

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