Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
getragen.
Frage: Wie hast du das Mädchen getragen?
Antwort: Ich habe es vor mich gehalten, und zwar auf beiden Armen. Dann bin ich den gleichen Weg zum Bach zurückgegangen. Dann habe ich mich etwas in die Knie gehockt und das Mädchen ins Wasser fallen lassen.
Frage: Wie hast du das Mädchen fallen lassen?
Antwort: Einfach nach unten fallen lassen.
Frage: Wie lag das Mädchen denn dann?
Antwort: Mit dem Rücken im Wasser und mit dem Gesicht nach oben.
Frage: Was hast du dann gemacht?
Antwort: Ich wollte gucken, was jetzt passiert.
Frage: Und was ist passiert?
Antwort: Es hat mit den Füßen etwas gezappelt.
Frage: Wie lange bist du denn noch dageblieben?
Antwort: Als es ganz unter Wasser war und ruhig war, bin ich aufgestanden und gegangen. (…)«
42
Kahle Betonwände, eine Neonleuchte an der weißen Decke, ein brauner Tisch, ein Stuhl, eine Pritsche, die tagsüber an der Wand hochgeklappt wurde, Waschbecken, WC – in der winzigen Einzelzelle Nummer 9 des Duisburger Polizeipräsidiums verbrachte Kroll die Nächte und die Stunden am Tage, in denen er nicht vernommen wurde. Das Essen bekam er aus der Kantine. Wenn er aus dem kleinen vergitterten Fenster schaute, sah er lediglich die Wipfel grüner Pappeln und den Himmel.
Jeden Morgen rasierte er sich sorgfältig. Aus seiner Wohnung hatte er sich seinen taubenblauen Sonntagsanzug bringen lassen, frische Oberhemden, Unterwäsche. Auch im Knast verhielt er sich so, wie er es immer getan hatte: er sprach kaum, und wenn doch, blieb er stets einsilbig; er hielt sich penibel an die Vorschriften; er stellte keine Forderungen; er beklagte sich nicht – auch nicht über die ständige Beobachtung oder wenn es mal lauter wurde. Ein »Musterhäftling«.
In den ersten Tagen nach seiner Festnahme war er kaum fähig gewesen, die unzähligen Gedanken zu ordnen, die ihm durch den Kopf schossen: Warum hab’ ich den Mist nur ins Klo geschmissen! – Was wird aus meinen Schallplatten, der Anlage, den Fernsehern? – Lasst mich doch endlich in Ruhe! – Hatt’ ich mir hier schlimmer vorgestellt. – Auf der Arbeit werden se ganz schön quatschen. – Ich hab’ unheimlich Schiss. – Tanja! – Soll ich denen noch was sagen? – Will keinen Besuch, die sollen nich’ herkommen. – Was soll jetzt werden? – Die sind richtig nett zu mir. – Was wohl Elisabeth dazu sagt? – Und der Rolf. – Mutter, hilf mir! – Was ist mit meinen Mopeds? – Ich will hier wieder raus!
Er hatte alles verloren – nur das »komische Gefühl« nicht. Häufig überfiel es ihn spätabends oder nachts, nachdem er vernommen worden war. Das Heraufwürgen der alten Geschichten hatte ihn angestrengt, aber auch inspiriert. In solchen Momenten kehrte Kroll in Gedanken zurück an jenen Ort, der ihm zum Verhängnis geworden war. Er nahm das Kind wieder an die Hand. Er spürte dann dieses Kribbeln, die Nervosität, als er mit Tanja die Treppen hochgeschlichen war; genauso die Befreiung, als er endlich die Tür verriegelt hatte. Die endlosen zwei Stunden, die er gebraucht hatte, um sich dreimal zu befriedigen und das Kind zu verstümmeln, durchfieberte er wie in einem Zeitraffer. Nach wenigen Minuten war der Spuk vorbei.
Doch seine phantastischen Exzesse waren nur flüchtige Momentaufnahmen, die es ihm gestatteten, seinem dunklen Verlies für ein paar Augenblicke zu entfliehen. Dann holte ihn die brutale Realität wieder ein, der lebendig gewordene Albtraum, die Ausweglosigkeit, das quälende Gefühl der Verlorenheit. Er war endgültig gescheitert – auch als Menschenjäger. Seine Opfer blieben auch jetzt größtenteils gesichtslose Objekte, die im Wesentlichen aus Geschlechtsteilen bestanden. Scham empfand er, wenn er sich zu seinen Perversionen bekennen musste, Reue indes nicht.
Nur knapp fünf Kilometer Luftlinie von Krolls Zelle entfernt ereignete sich eine Tragödie ganz anderen Ausmaßes. »Mami, darf ich auf dem Hof ein bißchen im Wasserbecken planschen?« Die letzten Worte ihrer Tochter gingen Petra Bracht nicht mehr aus dem Sinn. Ihrem Mann Hans erging es ähnlich. Beide waren unversehens zu Hauptdarstellern eines unsäglichen Familiendramas geworden. Das Schlimmste dabei: Sie konnten von Tanja nicht richtig Abschied nehmen. Es gab keine Leiche, nur schrecklich zugerichtete Überreste. Wäre ihre Tochter bei einem
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