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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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er – die hatte ihm wenigstens hin und wieder zugehört.
    Bei einem Bauern in Bottrop-Kirchhellen kam er unter, als Erntehelfer und Stallbursche. Er hatte keine andere Wahl – ohne Schulabschluss, ohne Berufsausbildung, ohne Berufserfahrung. Ein paar Monate ging es gut, im Dezember 1954 wurde er abserviert. Die Tochter des Bauern hatte sich mehrfach über ihn beschwert: »Faul« sei er, »für nichts zu gebrauchen«.
    Schon seit Monaten quälte und inspirierte es ihn wieder, das »komische Gefühl«. Diesmal war es aber nicht an das Erleben eines Schlachtvorgangs gekoppelt, es durchflutete ihn, wenn er im Kino saß, wenn er eine Frau sah, die ihm gefiel, oder einfach so, urplötzlich. Dann musste er raus, wenn möglich in die Wälder. Wenn er sich dort selbst befriedigte, stellte er sich vor, wie er eine junge Frau umbrachte, den Bauch aufschlitzte und hineinsah. Seine Empfindungen waren durchaus zwiespältig: Währenddessen hätte ihn nichts davon abbringen können, danach war es wie nach einer halben Flasche Schnaps am nächsten Morgen. Ernüchtert befürchtete er, es tatsächlich zu tun – später mal, irgendwann.
    Gegen den Willen des Vaters durfte er in sein Elternhaus zurückkehren. Jetzt musste er wieder kuschen. Wenig später ereilte ihn ein schwerer Schicksalsschlag, am 21. Januar 1955 starb seine Mutter. Herzinfarkt, mit 53. Eine Katastrophe. Sie war sein Rettungsanker gewesen, jemand, der sich wenigstens für ihn interessiert hatte, mit dem er hatte reden können – obwohl dafür kaum Zeit geblieben war. Sein letzter seelischer Halt war weggebrochen. Nun taumelte er orientierungslos durchs Leben: vorsichtig tastend, aber auch immer wieder aneckend. Sein Vater wollte ihn wieder loswerden, von den Geschwistern wurde er geschnitten. Erstmals gab er Widerworte, drohte. Der Dauerfrust mündete in Aggressionen, unverdaute Konflikte wurden wieder hochgewürgt. Früher hatte er sich eingeigelt, nun bot er jedem die Stirn. Immer dann, wenn ihm die richtigen Worte fehlten, ließ er seine Fäuste sprechen. Er wollte nicht länger der Prügelknabe sein.
    Zwei Tage nach dem Begräbnis der Mutter kam es zum Bruch mit seinem Vater. Der gab sich unmissverständlich und unversöhnlich: »Fauler Hund, liegst mir nur auf der Tasche. Sieh zu, dass du an Arbeit kommst!« Er stellte ein Ultimatum. Sollte sein Sohn binnen zwei Wochen keine Arbeitsstelle vorweisen können, würde das Konsequenzen haben: »Dann schmeiß’ ich dich raus!«
    Er war am Tiefpunkt angelangt: keine Arbeit, kein Geld, keine Familie, keine Freunde, keine Zukunft. Die Mittellosigkeit drohte, der soziale Abstieg. Nichts wollte gelingen. Alles erschien ungewiss.
    Obendrein quälten ihn nach wie vor ausgeprägte Versagensängste. Selbst bei den Profi-Damen war er unterdessen gescheitert. Ins Bordell hatte er sich nicht hineingetraut, und wenn doch, hatte er die Damen erst gar nicht angesprochen. Er wollte angesprochen werden. Aber selbst für die »Fünf-Mark-Huren« war er Luft. Seine Mutlosigkeit versuchte er zu kaschieren, seine Erfolglosigkeit zu relativieren – die unpersönliche Zehn-Minuten-Liebe war nichts für jemanden wie ihn. Die Möglichkeit, eine Frau näher kennen zu lernen, schien nun vollends verstellt. Aber er wollte, unbedingt. Gleichzeitig drängten seine unmenschlichen Phantasien, die an Inhaltsreichtum und Intensität zunahmen. Und er hatte etwas dazugelernt: dass er etwas durchsetzen konnte – notfalls mit Gewalt.

7
                        
                       Die junge Frau wartete an der Ausfahrt der Raststätte „Holmmoor-West“, die Autobahn 1 kannte sie bestens. Renate Göbel war auffällig gekleidet: grüner Pullover, kornblumenblaue Jacke, kaffeebrauner Rock, helle Perlonstrümpfe, grüne Slipper. Um den Hals baumelte ein giftgrüner Wollschal. Sie wippte mit dem Oberkörper hin und her, es war kalt an diesem frühen Morgen des 6. Februar 1955. Ihr krauses dunkelbraunes Haar trug sie kurz geschnitten.
    Die 19-Jährige wollte mitgenommen werden. Um 9.35 Uhr hielt neben ihr ein blauer Mercedes. Die Tür wurde aufgestoßen: »Wohin?« Sie musterte den Fahrer. Er war zwar nicht ihr Typ, aber er wirkte seriös, wie jemand, dem sie vertrauen durfte. »Ich muss in die Nähe von Münster, meine Tante besuchen«, gab sie zurück. Der Mann, den sie auf etwa 40 schätzte, zündete sich eine Zigarette an. »Du hast Glück, ich fahr’ bis Köln.«
    Etwa zur selben Zeit stand er am

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