Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Treue nicht so genau nahmen, wollten sie selbst nicht hintergangen oder betrogen werden. Ramstetter war zudem »schuldig geschieden«, seine Frau hatte die außerehelichen Eskapaden nicht mehr ausgehalten.
Um 18.45 Uhr schellte Angelika Fritz im Haus Nummer 137 der Konrad-Adenauer-Straße. Ramstetters Mutter war nicht zu Hause – eine günstige Gelegenheit, um sich ungestört näher zukommen. Eine halbe Stunde später verließen sie die Wohnung, es zog sie ins »Alfredo«, Ramstetters Stammkneipe. Dort blieben sie eine Weile. Während er Bier orderte, bestellte sie Kaffee und Cola. Es vergingen keine 20 Minuten, und schon wurde aus der Unterhaltung ein Streitgespräch. Sie wollte herausbekommen, wo er den Tag über gewesen war, und er bemühte sich zu erfahren, warum sie schon so früh gehen wollte. Er behauptete, die ganze Zeit in der Wohnung geblieben zu sein, weil das Wetter so schlecht gewesen sei, und sie log, sie müsse gleich noch unbedingt zu einer Arbeitskollegin nach Marl-Sinsen, um dort etwas abzuholen. Jeder flunkerte so gut er konnte.
Gegen 21.30 Uhr trennten sie sich – im Streit. Angelika Fritz musste sich jetzt sputen, sie war mit einem jungen Griechen in einem Eiscafé in der Bergstraße verabredet, und der wartete sicher schon. Um Zeit zu sparen, nahm sie eine Abkürzung. Sie mied die belebte Bonifatiusstraße und lief über die Brassertstraße bis zum Eduard-Weitsch-Weg. Der gepflasterte Rad- und Fußgängerweg führte auf einer Strecke von knapp 300 Metern am »Försterbusch« vorbei, einem kleinen Waldgelände, das noch nicht durchforstet worden war und dessen dichter Baumbestand von Birken und Eichen dominiert wurde.
Als Angelika Fritz den Eduard-Weitsch-Weg erreichte, begann es heftig zu regnen. Auch die Dunkelheit schreckte sie nicht – der kleine Fußweg war kaum ausgeleuchtet, und die Neonlampen hatten Kinder und Jugendliche mit Steinen größtenteils eingeschmissen.
Als sie etwa die Hälfte des Weges absolviert hatte, sah sie eine dunkle Gestalt auf sich zukommen. Angelika Fritz nahm es eher beiläufig zur Kenntnis, denn sie kannte diese Strecke und hatte ähnliche Situationen schon vielfach erlebt. Nichts Besonderes also.
Das änderte sich schlagartig, als der Mann sich ihr wenig später unvermittelt in den Weg stellte. Angelika Fritz musterte den Fremden argwöhnisch, der sie so komisch anglotzte. Schließlich sagte der Mann etwas, das sie aber zunächst nicht verstand. Der Unbekannte hatte zu leise und zu undeutlich gesprochen.
Sie fragte zurück: »Bitte, was wollen Sie?«
Der kleingewachsene Mann drehte sich einmal kurz um, dann wiederholte er, was er zuvor gesagt hatte: »Willst’ poppen?«
Angelika Fritz dachte an einen üblen Scherz. Sie wurde ungehalten. »Du hast sie doch wohl nicht mehr alle, scher dich zum Teufel, du Spinner!«
Dann ging alles so schnell, dass Angelika Fritz sich kaum wehren konnte. Der Mann schlang ihr den rechten Arm um den Hals, drückte kräftig zu und hielt mit der anderen Hand ihre rechte Hand fest. So brachte er sie zu Boden. Aus diesem Griff konnte die junge Frau sich nicht mehr befreien, ihre Schläge mit der freien linken Hand blieben wirkungslos.
»Willst wohl nich’ poppen, wie? Dir werd’ ich helfen!« Aus den Worten ihres Peinigers schloss sie, der Mann wolle sie lediglich vergewaltigen, sie würde noch mit dem Leben davonkommen. Gerade als sie losschreien wollte, drückte der Mann so fest zu, dass ihr die Luft wegblieb. Dann wurde sie vom Weg in den Wald gezogen. Teils stolperte sie mit vorwärts, teils wurde heftig an ihr gezerrt. Dabei verlor sie ihren rechten Schuh.
Zu ernsthafter Gegenwehr war sie nicht mehr imstande – benommen und halb bewusstlos war sie dem unheimlichen Fremden ausgeliefert, auf Gedeih und Verderb. Sie spürte keine Schmerzen, nur eine beängstigende Hilflosigkeit.
Nachdem der Mann sie einige Meter weit in den Wald geschleppt hatte, wurde Angelika Fritz auf den Boden geschleudert. Die Handtasche, die sie bis dahin krampfhaft festgehalten hatte, fiel neben ihre Schulter. Plötzlich war der Mann über ihr, seine Knie gruben sich neben ihrem Oberkörper in den vom Regen aufgeweichten Waldboden. Als sie die kalten Hände spürte, die ihr wieder den Atem nahmen, wollte sie dagegenhalten. Aber es war zu spät. Der Blick in das Gesicht des Mannes, das sich mehr und mehr zu einer hässlichen Fratze verzerrte, war furchterregend. Angelika Fritz wurde ohnmächtig. Und dann war es vorbei.
Zwei Tage später
Weitere Kostenlose Bücher