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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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begehrte nicht auf, er schluckte es.
    In der ersten Zeit sprachen sie kaum miteinander. Rolf Hansen hatte sich anfangs über die vielen Haushaltsgeräte, Fernseher und Radios gewundert, aber nichts gesagt. Und dass sich sein schweigsamer Kollege zunächst als Schreibmaschinentechniker ausgegeben hatte, obwohl derartige Jobs bei Mannesmann gar nicht vergeben wurden, hatte er amüsiert zur Kenntnis genommen, es aber auf sich beruhen lassen. Der 30-Jährige wollte Auseinandersetzungen nach Möglichkeit vermeiden, es sich mit seinem Zimmerkumpel nicht verderben. Zudem verbrachte der Baggerführer die meiste Zeit mit Helga, seiner acht Jahre jüngeren Verlobten, die noch bei ihren Eltern wohnte.
    Mit der Zeit kamen sich die beiden näher, entdeckten Gemeinsamkeiten: ins Kino gehen, über Motorräder fachsimpeln, Frauengeschichten. Während Rolf Hansen in erster Linie die körperlichen Vorzüge seiner Verlobten anpries, schwadronierte sein Kumpel über diverse zwischenmenschliche Kapriolen und sexuelle Eskapaden, die aber merkwürdig allgemein gehalten waren. Ohne Unterlass bemühte er sich zu versichern, wie toll alles gewesen sei, aber Einzelheiten wollte er doch lieber für sich behalten. Hansen kam all das doch recht merkwürdig vor: Sein Kumpel vergnügte sich angeblich jede Woche mit einer anderen, nur wurde ihm keine Frau vorgestellt, nicht ein einziges Mal.
    Neben ausgeprägter Gemüts- und Kontaktarmut war die hochgradige sexuelle Abnormität das bedeutsamste Merkmal seines Persönlichkeitsprofils. Als zentrales Wesenselement seiner sexuellen Perversionen hatte sich in der Zwischenzeit ein ausschließlich mit destruktiven Phantasien behafteter Sadismus herausgebildet. Stets verschafften ihm solche exzessiven Visionen höchste Genugtuung, die darauf abzielten, eine um ihr nacktes Leben kämpfende Frau mit bloßen Händen zu töten. Vollkommene Befriedigung wollte sich aber nur dann einstellen, wenn zwei Ingredienzen das blutige Festmahl veredelten: Das Opfer musste sich verzweifelt wehren, mit den Händen gegen seine Arme schlagen, nach ihm treten, sich aufbäumen. Und er musste den Todeskampf durchgehend beobachten, sich daran weiden können, wie es langsam zu Ende ging.
    Er wollte über seine Opfer absolut und uneingeschränkt verfügen, sie dehumanisieren, degradieren, zum Spielball der eigenen zügellosen Begierde machen. Sowohl in seinen Tagträumen als auch im realen Gemetzel waren Kinder, Jugendliche und Frauen pulsierende Objekte, deren Reaktionen geplant, kalkuliert, reguliert und im Endstadium der vollkommenen Beherrschung intensiviert und ausgedehnt wurden.
    Seinen lebensgroßen Puppen legte er Stricke um den Hals und hängte sie an die Wand seines Zimmers. Dann masturbierte er und stellte sich vor, dort würde ein Mädchen sich dem drohenden Erstickungstod entgegenstemmen. Stets vergeblich. Es waren die Momentaufnahmen der Schrankenlosigkeit, der Allmacht, die ihn seelisch befriedigten. Er konnte Grenzen überschreiten – beliebig oft, beliebig lange. Alles war leicht, alles war möglich.
    Schon lange ging es ihm nicht mehr um Sexualität im engeren Sinne. Sexuelle Handlungen wurden nun instrumentalisiert, um Gewalt ausüben, um seine Opfer entmachten und dominieren zu können. Den erzwungenen Geschlechtsverkehr erlebte er als die intimste Form der Bemächtigung. Aber er blieb, was er war: ein ungeliebter, unbeachteter, isolierter, scheuer, angstvoller Mensch.
    Und die sexuellen und zwischenmenschlichen Irritationen und Irrwege erwiesen sich nunmehr als unüberwindbare Hürden. Denn Gefühle der körperlichen Befriedigung und seelischen Befreiung waren jetzt gekoppelt an vielfältige Formen der sexualisierten Gewalt. Das notwendige Erregungsniveau konnte er nur noch dann erreichen, wenn er all das tat, was er üblicherweise nicht tun durfte.
    Was zu diesem Zeitpunkt weder er noch sonst jemand ahnen konnte: Seine abnormen Bedürfnisse würden weiter wuchern – wie ein Krebsgeschwür, das unerkannt und unbehandelt bleibt und immer neue Metastasen bildet. Und er würde sich gegen alles vergehen, was Menschen heilig ist, er würde das tun, wovon kaum jemand zu sprechen wagt.
    Zwischen Rolf Hansen und ihm entwickelte sich eine Freundschaft. Trotz der beengten räumlichen Verhältnisse, mit denen sie vorlieb nehmen mussten und die nur selten Privatheit zuließen, gab es kaum Differenzen. Unterdessen hatte Hansen ihm auch Helga Zyrus vorgestellt, seine Verlobte. Die 22-jährige Friseurin fand er auf Anhieb

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